Gesundheit
Expertin über Wechseljahre: «Ernährung ist unser grösster Hebel»
- Text: Janina Jetten
- Symboldbild: Stocksy
Ernährungsexpertin Susanne Liedtke hat zusammen mit der Gynäkologin Christina Enzmann den Ratgeber «Somebody told me» geschrieben. Ihr Versprechen: Mit einer Ernährungsumstellung sind viele Wechseljahrbeschwerden vom Tisch.
Es klingt nicht gerade erstrebenswert, in die Wechseljahre zu kommen. Hitzewallungen, nachlassende Libido, Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen, Schlaflosigkeit und Gelenkschmerzen – die Liste der möglichen Beschwerden ist lang. Doch die eine Million Frauen in der Schweiz, die sich genau in dieser Lebensphase befinden, haben ihren Müttern eines voraus: Die Wechseljahre treten langsam aus der Tabuzone heraus.
«Es darf gern noch mehr Aufklärung passieren», sagt Ernährungsexpertin Susanne Liedtke (54), «aber wir haben es selbst in der Hand, das Beste für uns herauszuholen». Zusammen mit der Gynäkologin Christina Enzmann (53) hat sie den Ratgeber «Somebody told me» geschrieben.
annabelle: Im Buch führen Sie sehr konkret durch das Thema Menopause: Sie erklären, welche Check-ups sinnvoll sind, welche Blutwerte untersucht werden sollten, was bei welchen Symptomen zu tun ist. Warum war es Ihnen so wichtig, bei diesen Themen so detailliert vorzugehen?
Susanne Liedtke: Wir wollen Frauen empowern. Sie sollen selbstwirksam sein in einer Lebensphase, die lange nicht im Fokus war. Sie sollen bei Arztgesprächen das Beste für sich rausholen können, damit Beschwerden besser behandelt werden können. Dafür haben wir all unser Wissen zusammengetragen. Christina als Gynäkologin, die sich im Bereich der Funktionellen Medizin weitergebildet hat. Dabei wird nicht nur auf einzelne Symptome geschaut, sondern aufs Gesamtbild – wie unsere Darmgesundheit zum Beispiel mit Hormonen, dem Stoffwechsel und unserem Gemüt zusammenhängt. Und ich als Ökotrophologin, die durch zahlreiche Ernährungskurse mit Frauen in der Menopause viel Erfahrung gewonnen hat.
Wie sind Sie auf das Thema Wechseljahre gekommen?
Ich habe erkannt, dass das ganze Thema einfach kaum stattfand – kaum anders als zu Zeiten meiner Mutter, wo nur hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen wurde. Und als ich nun selbst in das Alter kam, Beschwerden auftauchten und meine Hausärztin allen Ernstes meinte, ich solle doch einen Porno schauen, als meine Libido sank, dachte ich: Das kann es doch jetzt nicht sein.
Stellen Sie mittlerweile einen Wandel fest?
Ja, es bewegt sich einiges. Weil da eine Generation von Frauen ist, die offen sagt: Ich will nicht einfach dadurch, ich will das nicht einfach aushalten müssen. Das ist schon einmal gut. Aber es darf gern mehr passieren.
Warum geht die Menopause nicht nur Frauen an?
Die Hälfte der Menschheit geht irgendwann durch die Wechseljahre. Mindestens zwei Drittel der Frauen durchlaufen merkliche Veränderungen – körperlich und im Wesen. Und wenn du mit einer Frau zusammenlebst, mit ihr arbeitest, wenn du eine Mutter hast, dann ist es schon hilfreich fürs Miteinander, über diese Abläufe Bescheid zu wissen.
«Warum bekommt nicht jede Frau mit 40 einen Brief von ihrer Gynäkolog:in?»
Was kritisieren Sie im Umgang mit den Wechseljahren?
Medizin wurde und wird oft noch immer von Männern für Männer gemacht. Deswegen ist das Gesundheitssystem nicht ausreichend ausgelegt auf den Frauenkörper, erst recht nicht auf den älter werdenden Frauenkörper. Es müsste viel mehr auf das Thema Aufklärung und Prävention eingegangen werden. In den Wechseljahren finden krasse Umwälzungsprozesse im Stoffwechsel aufgrund der Hormonumstellung statt – sie begünstigen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und das Entstehen von Diabetes und das Risiko für Krebserkrankungen steigt. Warum bekommt nicht jede Frau mit 40 einen Brief von ihrer Gynäkolog:in, in dem steht: So, die nächsten Jahre können ein bisschen bumpy werden – und damit es nicht so wird, klären wir über die Wechseljahre auf. Das würde fast nichts kosten, wäre aber eine gute Gesundheitsvorsorge.
Was würden Sie einer Frau mit Anfang 40 raten, die sich wahrscheinlich noch vor Beginn der Menopause befindet?
Dass sie eventuelle Zyklusbeschwerden nicht normalisiert und einfach hinnimmt. Es ist nicht von der Natur gedacht, dass der Zyklus unrund läuft, man heftig PMS hat und jeden Monat zwei Tage ausfällt. Wenn sie das Thema jetzt schon auf dem Schirm hat, wird sie auch besser durch die Wechseljahre kommen. Diese Zeit lässt sich durch Ballaststoffe, Saaten und Gemüse sehr positiv beeinflussen. Sie helfen uns, ein gesundes Mikrobiom, also natürlich vorkommende Bakterien im Darm, herzustellen – und die sind richtig wichtig für alles, was in der Menopause auf uns zukommt.
Wie hängt der Darm mit den Hormonen zusammen?
Darmgesundheit heisst Hormongesundheit. Dort werden 80 Prozent des Serotonins und 50 Prozent des Dopamins gebildet. Die Zusammensetzung der Darmflora hat dabei einen Einfluss auf unsere Glückshormone – aber eben auch auf unseren Östrogen-Stoffwechsel. Darmbakterien spielen eine wichtige Rolle im Östrogenstoffwechsel, ebenso genügend Ballaststoffe, um überschüssiges Östrogen besser ausscheiden zu können. Das ist ab 40 wichtig, wenn zunächst das Progesteron abnimmt und bei vielen eine Östrogen-Dominanz vorherrscht.
«Etwa 500 Gramm Gemüse am Tag sind super»
Was raten Sie einer Frau, die mittendrin ist in ihrer Menopause?
Dass es nie zu spät ist, die Ernährung umzustellen. Natürlich sind Gesundheitsprobleme komplex – es gibt nicht die eine Lösung. Doch für mich steht fest: Ernährung ist unser grösster Hebel. Damit können wir eine positive Veränderung selbst herbeiführen, unseren Hormonstoffwechsel stärken und zahlreiche Beschwerden wie Gelenkschmerzen oder erhöhten Blutzucker in den Griff bekommen.
Kann man alle Beschwerden wirklich komplett in den Griff bekommen, wie Sie sagen?
Basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen kann ich sagen: Eine Ernährungsumstellung kann tatsächlich einen signifikanten Einfluss auf Wechseljahrsbeschwerden haben. Die Forschung zeigt da beeindruckende Ergebnisse: Eine Studie aus dem Jahr 2023 beispielsweise hat gezeigt, dass eine pflanzenbasierte, fettarme Ernährung in Kombination mit Sojaprodukten die Häufigkeit von Hitzewallungen um bis zu 88 % reduzieren konnte. Bei der Hälfte der Teilnehmerinnen verschwanden moderate bis schwere Hitzewallungen sogar komplett.
In Ihrem Buch empfehlen Sie einen «Body Reset». Was ist damit gemeint?
Es ist eigentlich simpel: Alles, was den Körper belasten könnte, wird reduziert, und alles, was dem Körper guttun kann, wird mehr gegessen. Wir nennen das im Buch so, weil das ein Neustart, also ein Reset, für den Körper ist und hilft, wieder in Balance zu kommen. Dabei ist mir wichtig zu betonen, dass es nicht um eine schnelle Diät, sondern um eine nachhaltige Ernährungsumstellung geht, die als Teil eines ganzheitlichen Ansatzes verstanden werden sollte. Das heisst, auch Bewegung und andere Lifestyle-Faktoren spielen eine Rolle. Das ist zunächst einmal anstrengend, weil wir dafür unsere Gewohnheiten ändern müssen. Und die Wirkung tritt auch nicht über Nacht ein.
Nochmal zur Ernährung: Was bedeutet das ganz konkret – was steht dann auf dem Speiseplan?
Etwa 500 Gramm Gemüse am Tag sind super. Ich empfehle, geschrotete Leinsamen ins Essen zu mischen und jeden Tag eine kleine Portion Fermentiertes wie Kimchi oder Sauerkraut zu sich zu nehmen. Das sind drei Dinge, die schon richtig effektiv sind, weil sie Nähr- und Ballaststoffe enthalten, probiotisch sind und für eine gesunde Darmflora sorgen. Die natürlichen Phytoöstrogene können bei einer Frau in der späten Perimenopause den Östrogenmangel ausgleichen. Und im Gegenzug sollte man weniger Alkohol, weniger Zucker und verarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen.
Die Ernährung, die Sie vorschlagen, kommt auch dem Blutzuckerspiegel zugute.
Ja, genau. Den in den Griff zu bekommen, ist in den Wechseljahren eines der wichtigsten Ziele. Denn die hormonellen Veränderungen in dieser Zeit können leider dazu führen, dass wir schwächer auf Insulin reagieren, ein Hormon der Bauchspeicheldrüse, das dafür sorgt, dass der Zucker, also die Glukose, in die Zellen transportiert und dort in Energie umgewandelt werden. Das nennt sich Insulinresistenz und führt dazu, dass der erhöhte Blutzucker als Fett in unserem Körper gespeichert wird, bevorzugt am Bauch. Darüber hinaus wird auch Muskelmasse in Fettpölsterchen umgewandelt. Insulinresistenz kann ausserdem zum Auftreten von Hitzewallungen beitragen und zu chronischen Gesundheitsproblemen wie Diabetes führen.
Weswegen Sport in den Wechseljahren umso wichtiger ist …
Genau. Sport wirkt einer Insulinresistenz entgegen, denn Muskeln sind wichtige Glukoseverbraucher. Moderater Sport wohlbemerkt. Wer extrem trainiert, stresst seinen Körper. Dann wird Cortisol ausgeschüttet, und das verstärkt die Insulinresistenz.
Welchen Sport empfehlen Sie?
Besonders gut ist Krafttraining – und sogenannte Bursts. Das ist, wenn man in die Schnellkraft geht und mal eben Hampelmänner oder einen Sprint macht. Ich mag auch sogenannte 7-Minuten-Trainings. All das ist die beste Prävention gegen Insulinresistenz, aber auch Osteoporose. Die betrifft heutzutage jede vierte Frau über 70. Eine vermeidbare Krankheit, wenn wir rechtzeitig darauf achten. Ausserdem brauchen wir Muskelmasse im Alter, um beweglich zu bleiben und uns bei Stürzen zu schützen.
Es gibt also ganz schön viel zu tun …
Das stimmt. Gut durch die Wechseljahre zu kommen, hat zwar auch etwas mit den Genen und den Lebensumständen zu tun, aber es geht nicht ohne Eigenleistung. Eine Frau sagte einmal zu mir: Meine Gesundheit soll mein Arzt regeln. Da dachte ich: Okay, dann viel Glück! Aber um es ganz deutlich zu sagen: Es geht uns nicht um Selbstoptimierung, Verzicht und Entsagung, sondern um den Gewinn an Lebensqualität. Wir wollen niemandem das Croissant und den Cappuccino madigmachen. Aber wenn ich als Frau weiss, wie ich besser durch die Menopause komme, dann ist das schlichtweg Selbstfürsorge.