annabelle-Redaktorin Claudia Senn fragt sich, warum so viele Frauen auf den Heiratsantrag ihres Partners warten – und ihn, wie sie, nicht gleich selber machen.
Von weitem schon hörte ich, dass gerade ein Ereignis von epochalen Ausmassen stattgefunden haben musste. Aus dem Büro einer Redaktionskollegin erschallte jene Art von frenetischem Kreischen, das sich Frauen für die besonders emotionalen Momente aufheben. Was war geschehen? Ein Journalistenpreis? Ein Sechser im Lotto? Schwanger mit Drillingen? Nein, besser: Die Kollegin hatte von ihrem langjährigen Freund endlich einen Heiratsantrag bekommen und präsentierte nun stolz ihren Verlobungsring. «Ich dachte schon, er fragt mich nie», sagte sie mit Glückstränen in den Augen. «Hm», meinte ich trocken, «und warum sitzt du jahrelang da und wartest, statt ihn einfach mal selbst zu fragen, ob er dich heiraten will?»
Falsche Frage. Ganz falsche Frage. Als Frau einem Mann einen Antrag zu machen – also bitte, nein, das geht ja nun gar nicht, sagte die Frischverlobte. Das sahen auch ein paar andere Kolleginnen so. Vor allem die jungen schienen meine Haltung abwegig zu finden, was mich nachhaltig verstörte. Wie kann es sein, dass meine 25 Jahre jüngeren Kolleginnen altmodischer dachten als ich? Warum sollte eine Frau keinen Heiratsantrag machen dürfen, wo sie doch heute ins All fliegen, eine Supermacht regieren oder Männern den Physik-Nobelpreis wegschnappen kann?
Mit Tradition allein lässt sich das nicht erklären. Die Tradition ist hierzulande kein Joch, dem man sich unterwerfen muss, sondern ein bunter Strauss von Möglichkeiten, aus dem man sich herauspickt, was gefällt. Der Rest lässt sich problemlos ignorieren – womit man gemeinhin nicht mehr riskiert als ein bisschen Irritation bei Erbonkel Alfred oder Grosstante Birgit. Hochzeitsbräuche sind nicht in Stein gemeisselt, sondern unterliegen dem Zeitgeist. Wäre es nicht so, würden wir noch immer jungfräulich in die Ehe gehen und nach der Hochzeitsnacht ein blutbeflecktes Laken aus dem Fenster hängen. Warum also halten so viele Frauen an dem Uralt-Zopf fest, dass ausschliesslich der Mann für den Heiratsantrag zuständig sei?
Weil es so verdammt bequem für sie ist, wenn er diesen diffizilen Job allein übernimmt. Soll er doch den richtigen Moment, die richtigen Worte, die richtige Romantiksituation aussuchen. Soll er doch das Risiko eingehen, eine tödliche Seelenverletzung zu erleiden, falls die Angebetete Nein sagt. Warum sich der Gefahr aussetzen, zurückgewiesen zu werden oder sich zum Affen zu machen? Dann lieber husch husch zurück in die alte Geschlechterrolle, wo man hübsch passiv in der Deckung verharren kann. Ist ja so schön gemütlich da, auch wenn man sich ansonsten für schwer emanzipiert hält.
Für mich hat Gleichberechtigung aber mit Fairness zu tun. Mit gerechter Verteilung von Verantwortung und Privilegien. Natürlich liegt vor allem für die Frauen noch vieles im Argen, doch Gleichberechtigung bedeutet auch, Ungleichgewichte anzugehen, die zuungunsten der Männer ausfallen. Deshalb, so finde ich, darf heute keine Frau mehr einen Mann, der das nicht ausdrücklich wünscht, in eine Alleinernährer-Rolle drängen. Keine Frau, die sich für emanzipiert hält, sollte davon ausgehen, dass beim Flirten automatisch der Mann den ersten Schritt zu machen hat. Und der Heiratsantrag ist ebenso wenig Männersache wie Staubsaugen Frauensache.
Claudia Senn ist annabelle-Redaktorin. Ihr Mann machte ihr bereits nach drei Monaten einen Antrag – den sie zurückwies, weil sie sich noch nicht bereit fühlte. Sechs Jahre später ging sie vor ihm in die Knie. Die Ehe hält noch immer.