Liebe & Sex
Findom Fetisch: Wenn Männer darauf stehen, finanziell ausgenommen zu werden
- Illustration: PanK.ch; Text: Felix Lill
Es gibt Männer, die darauf stehen, finanziell ausgenommen zu werden: Findom heisst der Fetisch und er findet immer mehr Anhänger.
«Hallo, Herrin», stottert der gestandene Mann in hastigen Silben und geht sofort auf die Knie. Stundenlang hat er auf diesen Moment gewartet. Und kaum ist sie, die Herrin, aus dem heranfahrenden Auto gestiegen, stützt er sich mit den Händen aufs Trottoir, senkt seinen Kopf zur Bordsteinkante, wo die Herrin mit ihrem rechten Fuss auftritt. «Darf ich eure Schuhe küssen?» Sie lacht, streichelt ihm über den kurzrasierten Kopf. «Och, du bist ja richtig süss!» Sie lacht noch ein bisschen weiter, sagt dann in einem warmen, aber bestimmten Ton von oben herab: «Kannst jetzt wieder aufstehen.»
«Meine Sklaven sind alle glücklich. Ist mir auch wichtig»
Der Altersunterschied zwischen Gina, wie sich die Herrin nennt, und Heribert Wirz* beträgt mehr als dreissig Jahre. Er, ein 1.83 Meter grosser, schwergewichtiger Mann mit Holzfällerhemd und Ring im linken Ohr, ist Beamter, war zweimal verheiratet und hat zwei Kinder. Sie, eine 24-jährige Frau mit kurviger Figur und langen, angeklebten Wimpern, lebt in einer WG, ist Teilzeitangestellte bei einer Versicherung und hat einen festen Freund. Aber nebenbei hält sie sich «ein paar Sklaven». «Ach, die finanzieren mir eigentlich alles Mögliche», hat sie vor einigen Tagen am Telefon erklärt. «Meine Sklaven sind alle glücklich. Ist mir auch wichtig.»
Heribert ist vom Geküsse etwas ausser Atem, aber er strahlt wie an diesem Tag die Sonne am Himmel. Im Morgengrauen hat er heute das Haus verlassen, musste dreimal umsteigen, um am frühen Nachmittag seine Herrin Gina am vereinbarten Bahnhof treffen zu können. Die blickt jetzt rüber zu ihrem Freund: «Fahren wir mit ihm in den Mineralienpark? » Er nickt ihr zu, nickt Heribert zu. Alle drei steigen ins Auto. «Das Geld hast du dabei, wie besprochen», setzt Gina voraus. «Hab ich, Herrin.»
Heribert sitzt angeschnallt auf der Rückbank und erzählt aufgeregt von seiner langen Fahrt. Wie einige im Zug einfach keine Maske tragen. Wie ihn das Personal zum falschen Ausgang geschickt hat. Gina reagiert irgendwie gelangweilt, dreht sich nach hinten, bemerkt erst jetzt einen Anstecker auf Heriberts linker Brusttasche. In schwarzen Lettern auf weissem Grund steht da «slave», Englisch für Sklave. Gina lacht ihn aus. «Brav, mein Zahlschwein. Du hast es verstanden.» Ihr Freund steuert fast wortlos ein Parkhaus an, von wo aus die drei zu Fuss in den Mineralienpark gehen.
«Also?», fragt Gina, Händchen haltend mit ihrem Freund, ohne Heribert anzusehen. Neben einem Teich, auf dem Enten schwimmen, setzt sie sich auf eine Bank und hält die Hand auf. Heribert hat verstanden, zieht ein Bündel 50-Euro-Scheine aus der Tasche und kniet vor der Parkbank nieder. «350 Euro für euch. Damit es euch gut geht.» – «Guter Junge.» Ein paar Zentimeter vor Heriberts Gesicht spuckt sie auf den Boden, lässt ihn noch einmal an ihre Schuhe. Diesmal wird nicht geküsst, sondern geleckt. Gina lacht. Ihr Freund hat die Arme verschränkt, tippt von einem Bein aufs andere.
Für Gina ist es ein Treffen von vielen, jede Woche macht sie das. Und traut man der Anzahl von Twitter-Hashtags, Facebook-Gruppen und spezialisierten Websites, deren Mitgliederzahlen mittlerweile offenbar in die Hunderttausende gehen, so muss man annehmen, dass sich an diversen Orten auf der Welt zeitgleich etwas sehr Ähnliches zuträgt. «Findom», eine Kurzform von «financial domination», nennt sich dieses Faible, das sich in den letzten Jahren über das Internet verbreitet hat. Gina nimmt damit in guten Monaten gut 3000 Franken ein. Die Nachfrage nach ihrem Angebot hat derart zugenommen, dass sie ihren regulären Job nur noch halbtags betreibt. Ihr anderer Halbtagsjob ist eben dieser: Männern Geld entlocken, damit sie von ihr erniedrigt werden.
«Mehr ist es wirklich nicht», hat sie vorab am Telefon versichert. «Sie bekommen keinen Sex von mir, auch keine Nacktbilder.» Gina hat das in einem Ton gesagt, der auch ihre eigene Verwunderung über diese Vereinbarung zwischen Herrinnen und Sklaven offenbarte. Vor vier Jahren erzählte ihr eine Arbeitskollegin in einem Callcenter von der Szene. Noch am selben Abend legte Gina ein Facebook- Profil an, auf dem sie mit einem leicht koketten Foto alle Männer dieser Welt dazu aufforderte, sich ihr unterzuordnen und gefälligst zu zahlen. «Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach geht.»
Bis heute hat sie um die dreissig Männer «gemolken»
Nach zwei Tagen meldete sich mit Heribert der erste Zahlungswillige. Bis heute hat sie um die dreissig Männer «gemolken.» Die Männer zahlen ihr eine Einkaufsrechnung oder überweisen ihr Guthaben auf ihren Account auf Amazon. Als Dank schickt sie ihnen Videos, in denen sie mit tiefem Ausschnitt Beleidigungen von sich gibt. Ihre vollen Lippen rahmt sie dabei oft mit einem je ausgestreckten Daumen und Zeigefinger ein, die zusammen ein L formen – die Kennung für «Loser», Verlierer.
«Das L fühlt sich schon irgendwie nach Belohnung an. Mich erregt das auch», hat Heribert Wirz an diesem Vormittag gestanden, während er nervös Kaffee trinkend auf die Ankunft seiner Herrin wartete. «Sie strahlt so eine natürliche Dominanz aus und hat Sprachwitz.» Heribert glaubt, dass es sich bei seiner Begeisterung der Entwürdigung nicht bloss um eine sehr ungewöhnliche Neigung halte. Da schwinge auch eine Kritik an traditionellen Geschlechterrollen mit.
«Wir haben ja heute offiziell Gleichberechtigung, wir haben Frauenquoten und so weiter. Aber eigentlich leben wir doch immer noch in einer männerdominierten Welt. Und wenn du dann als Mann von einer Frau völlig kleingemacht wirst, dann hat das schon was.» Erniedrigung des Mannes als Spielart des Feminismus? Da bleiben Zweifel, sogar bei Heribert selbst. «Es stimmt natürlich, dass auch bei Findom die Frau sexualisiert wird. Ich würde es zwar nicht wagen, von meiner Herrin Sex zu erwarten, aber erregen tut sie mich ja trotzdem.» Oder gerade deshalb.
Heribert Wirz erklärt seine Vorliebe damit, dass er in der Kindheit viel gehänselt und von seinen Ehepartnerinnen ausgenutzt wurde. An das Gefühl der Erniedrigung habe er sich über die Jahre gewöhnt und es irgendwann geschafft, das Gefühl in etwas Lustvolles umzukehren. Eine typische Art von Fetisch im psychoanalytischen Sinn. Aber längst nicht alle Männer, die gern finanziell ausgenutzt werden, haben solche Erfahrungen hinter sich.
Gina ist von ihrer Parkbank aufgestanden, von ihrem Sklaven hat sie genug. «Wir bringen dich noch zu deinem Hotel», sagt sie zum hinterhertrottenden Heribert. «Danke, Herrin.» Hörbar für Heribert erzählt Gina: «Viele andere Sklaven verdienen richtig viel Geld und sind es gewohnt, überall sonst der Chef zu sein. Die suchen einfach einen Ausgleich und wollen die Kontrolle abgeben.» Letztens habe sie einen gutverdienenden Sklaven am Geldautomaten getroffen. Der habe 200 Euro abgehoben, sie ihr überreicht, woraufhin sie ihm einmal kräftig zwischen die Beine getreten habe. «Er hat sich dann bedankt und ich bin nachhause gegangen.»
Heribert Wirz*«Herrin Gina melkt ihre Sklaven eher nachhaltig. Sie will für lange Zeit etwas von ihnen haben»
Auch Gina denkt bei ihrer Rolle als Herrin an Genderstereotype. «Mir macht das Ganze Spass, weil es für mich einerseits wie Schauspielern ist. Privat bin ich eher schüchtern. Ausserdem ist es ein gutes Gefühl, Männer zu erniedrigen und sich dafür nicht schlecht fühlen zu müssen.» Wobei die Herrin Gina auch Grenzen kenne. Vor ein paar Monaten habe sie eines ihrer «Zahlschweine» über Skype gesprochen und loggte sich für den Sklaven per Bildschirmteilung sichtbar in dessen Onlinebanking ein. «Er flehte mich an, sein Konto leerzuräumen. Aber das konnte ich einfach nicht. Ich hab dann 200 Euro abgehoben und die Session beendet.»
Andere Findommes hätten zugegriffen und den Mann in den finanziellen Ruin gerissen, sagt der lauschende Heribert von hinten. «Herrin Gina melkt ihre Sklaven eher nachhaltig. Sie will für lange Zeit etwas von ihnen haben.» Deswegen blieben viele ihr treu. Dabei ist die Konkurrenz gross. «Letztens hat eine andere Findomme meine Sklaven angeschrieben und wollte sie abwerben», sagt Gina, als sie ins Auto steigt. «Die hat denen sogar Nacktbilder geschickt, was ja nun wirklich gegen jeden Ehrenkodex einer Findomme geht.» – «Mir hat sie auch die Bilder geschickt», sagt Heribert, «waren nicht so toll.» – «Aber du bist ja ein ganz Treuer», reagiert die Herrin nur, ohne ihn anzusehen.
Den 56-jährigen Heribert Wirz hat sie durchschaut. «Gegenüber ihren anderen Sklaven bin ich schon etwas eifersüchtig», hat der am Vormittag während des Wartens gestanden. «Ich will schon möglichst die Nummer eins sein.» Dafür drückt er monatlich gut 600 Euro an seine Herrin ab. Seine Daueraufträge auf das Konto der Herrin, die er stolz zeigt, lauten unter anderem: 100 Euro «Mietzuschuss », 49.99 Euro «Hundekrankenversicherung», 19.90 Fitnessstudio. «Meine Herrin hat auch eine Vollmacht auf mein Konto.» Teil des Thrills sei, dass jeden Moment alles weg sein könnte.
Eine Zeitlang hat Heriberts ausgeprägte Zahlungsbereitschaft das Misstrauen von Ginas Freund genährt. «Ich dachte mir, da stimmt doch was nicht», sagt der in schwäbischem Akzent am Steuer, während er, die rechte Hand auf Ginas Oberschenkel, das Hotel von Heribert ansteuert. «Aber ich will ja nur meiner Herrin dienen», beschwichtigt Heribert von der Rückbank aus. Um das zu beweisen, richtete er vor Monaten zwei weitere Daueraufträge ein: 60 Euro für die Handys von «Herrin + Alpha» und 35 Euro für «Monatsticket Alpha.»
Als Alpha bezeichnet Heribert den Partner von Gina. Sich selbst, der «nur ein Beta» sei, lässt er durch die Herrin von seinem eigenen Lohn ein Taschengeld auszahlen. «Ich bekomme nur 200 Euro», sagt Heribert. Theoretisch könnte Heribert Wirz seiner Herrin Gina jeden Moment die Kontovollmacht entziehen und wieder autark sein. Praktisch kann er das nicht. «Dafür diene ich ihr viel zu gern.»
*Name geändert