Familie
Soziologin Larissa Fritsch: «Leihmutterschaft sollte in der Schweiz zum Thema werden»
- Text: Darja Keller
- Bild: Stocksy
Eizellenspende, Leihmutterschaft, Regenbogenfamilie: Wie tickt die Schweiz in Sachen Nachwuchs? Die Soziologin Larissa Fritsch von der Universität Zürich erfuhr in ihrer Umfrage Überraschendes.
annabelle: Larissa Fritsch, Sie erforschen im Rahmen der «Swiss Assisted Reproduction Longitudinal Study» der Universität Zürich, wie Menschen in der Schweiz zu Fortpflanzungsmedizin, Kinderwunsch und Familienmodellen stehen. Warum ist das wichtig?
Larissa Fritsch: Weil Kinderbekommen heute vermehrt eine bewusste Entscheidung ist. Gleichzeitig sinkt die Fruchtbarkeitsrate. Und parallel dazu entwickelt sich die Reproduktionsmedizin immer schneller. Deshalb ist es zwingend, uns Gedanken darüber zu machen, welche Methoden wir als Gesellschaft wollen und wie sie umgesetzt werden sollen.
Leihmutterschaft, Samen- und Eizellenspende, Egg Freezing – in Ihrer Studie untersuchen Sie unter anderem auch, was als moralisch vertretbar empfunden wird. Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?
Dass die PID, also die Präimplantationsdiagnostik, bei der ein im Reagenzglas gezeugter Embryo auf Erbkrankheiten untersucht wird, von nur 21 Prozent der Befragten akzeptiert wird. Das Verfahren war ja 2017 von der Stimmbevölkerung mit 62 Prozent angenommen und im Vorfeld breit diskutiert worden.
Woran könnte das liegen?
Die PID ist in der Schweiz nur erlaubt, wenn ein Verdacht auf eine Erbkrankheit vorliegt. Dennoch bringt man sie immer wieder mit der Vorstellung in Verbindung, durch sie intelligentere Kinder oder Kinder eines bestimmten Geschlechts bevorzugen zu können. Das stösst auf starke Ablehnung. Eine ähnliche Reaktion sehen wir bei der Editierung des menschlichen Genoms, obwohl kein Land bekannt ist, in dem sie klinisch praktiziert wird.
Dennoch, zwanzig Prozent der Befragten wollen, dass Gen-Editierung gesetzlich erlaubt wird. Was umfasst dieses Verfahren genau?
Mit der Gen-Editierung kann man die DNA eines Embryos verändern. Damit lassen sich zum Beispiel Erbkrankheiten aus dem Genom herausschneiden. Mit der CRISPR/Cas-Methode, die 2012 entdeckt wurde, geht das relativ gezielt. Es ist also möglich, ins Genom einzugreifen, während man es mit der PID bloss untersucht. In der Wissenschaft wird dieses Verfahren intensiv diskutiert.
«Die Legalisierung der Eizellenspende kann dazu führen, dass die Spenderinnen zu wenig über die Risiken aufgeklärt werden»
Ihre Umfrage berührt Bereiche, die in der Schweiz politisch hochaktuell sind, die Eizellenspende beispielsweise. Beide Kammern des Parlaments haben 2022 einer Legalisierung zugestimmt, 2023 sprach sich auch die Nationale Ethikkommission dafür aus. Das Geschäft liegt nun beim Bundesrat. Was gilt es bei der Umsetzung zu beachten?
Es gibt Studien aus Ländern wie Spanien, in denen die Eizellenspende bereits erlaubt ist. Diese zeigen, dass die Legalisierung dazu führen kann, dass die Spenderinnen zu wenig über die Risiken der Eizellenspende aufgeklärt werden und sich vor allem aus finanziellen Gründen darauf einlassen. Das ist gefährlich, denn für eine Eizellenspende müssen sich die Frauen einer Hormonbehandlung und einem chirurgischen Eingriff unterziehen.
Wie kann man Spenderinnen vor Ausbeutung schützen?
Indem gesellschaftliche Ungleichheiten miteinbezogen und, wenn möglich, auch ausgeglichen werden: durch eine faire Entschädigung, gründliche Aufklärung sowie eine umfassende medizinische Betreuung der Spenderinnen während des ganzen Prozesses. Überdies braucht es mehr Forschung zu den Langzeitfolgen einer Eizellspende, beispielsweise zum Krebsrisiko.
«Die Leihmutterschaft wird derzeit in Länder outgesourced, in denen die Bedingungen teilweise schlecht sind»
Fast die Hälfte der Befragten bewertet die Leihmutterschaft als moralisch verwerflich. Was sagen Sie dazu?
Ich hoffe, dass die Leihmutterschaft in der Schweiz trotz dieser Bedenken vermehrt zum Thema wird. In der Wissenschaft ist man sich einig, dass es klare, am besten internationale Regelungen und einen öffentlichen Diskurs braucht.
Warum?
Weil die Leihmutterschaft derzeit in Länder outgesourced wird, in denen die Bedingungen teilweise schlecht sind. Kommt hinzu, dass die rechtliche Anerkennung der auf diese Weise geborenen Kinder in der Schweiz kompliziert ist und damit für alle Beteiligten belastend. Vorstellbar wäre eine Regelung, die den Fokus auf die Leihmütter legt und nicht bloss auf die Wunscheltern. Denkbar wäre, dass nur Frauen als Leihmutter ausgewählt würden, die gut abgesichert sind und selbst schon Kinder haben, da sie dann wissen, wie sich eine Schwangerschaft für sie anfühlt. Ebenfalls wird immer wieder darüber diskutiert, ob eine Leihmutter für ihre Bereitschaft, ein Kind für jemand anderen auszutragen, finanziell vergütet werden soll oder nicht. Das alles sind Fragen, mit denen wir uns als Gesellschaft auseinandersetzen müssen.
«Man traut gleichgeschlechtlichen Paaren eher zu, ein Kind grosszuziehen, als Single-Eltern»
Sie befragen die Studienteilnehmenden auch nach ihrer Offenheit gegenüber alternativen Familienmodellen, wie die Ein-Eltern- oder Regenbogenfamilien. Welche Einsichten konnten Sie gewinnen?
Interessant ist, dass man gleichgeschlechtlichen Paaren eher zutraut, ein Kind grosszuziehen, als Single-Eltern. Zudem sind nur 40 Prozent der Ansicht, dass alleinstehende Frauen Zugang zu assistierter Fortpflanzung haben sollten, während es bei einem Frauenpaar 54 Prozent sind. In den USA zum Beispiel zeigt sich ein umgekehrtes Bild. Dort ist die Single-Elternschaft breiter akzeptiert als die gleichgeschlechtliche. Ich denke, dass durch die Ehe für alle, die in der Schweiz 2021 deutlich angenommen wurde, gleichgeschlechtliche Paare in Bezug auf Elternschaft inzwischen ähnlich betrachtet werden wie heterosexuelle. Die Akzeptanz ist also da – wenn auch an Bedingungen wie die Ehe geknüpft. Die Zweierbeziehung ist in der Schweiz ein mächtiges Ideal.
Reicht das Ideal der Zweierbeziehung aus, um zu erklären, weshalb die Single-Elternschaft weniger akzeptiert ist als die gleichgeschlechtliche?
Nun, ich glaube, dieses Phänomen gründet auch darin, dass die Familienkonstellation Mutter–Vater–Kinder noch immer als Norm gilt. Von dieser ausgehend, ist es für die meisten womöglich einfacher, sich eine gleichgeschlechtliche Elternschaft vorzustellen als eine Single-Elternschaft. Viel einschneidender wäre es aber, die Zweierbeziehung zu hinterfragen und damit etwa auch die Monogamie oder die gängige Vorstellung, dass eine Familie immer innerhalb einer Liebesbeziehung gegründet werden muss.