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Krieg in der Ukraine: Wie spricht man mit Kindern über ihre Ängste?

Familie

Krieg in der Ukraine: Wie spricht man mit Kindern über ihre Ängste?

Die Bilder, Gesichter, Stimmen aus der Ukraine beschäftigen uns, die Situation macht uns Angst – und auch unseren Kindern. So können wir mit ihnen über Ängste sprechen und sie durch Krisensituationen begleiten.

In Europa herrscht Krieg. Tagtäglich erreichen uns neue Informationen, im Radio laufen regelmässig Nachrichten darüber, kaum eine Fernsehsendung dreht sich aktuell um ein anderes Thema und wir werden per Smartphone konstant daran erinnert. Das beschäftigt nicht nur uns. Für viele Kinder ist es das erste Mal, dass sie einen Krieg bewusst wahrnehmen und sich damit auseinandersetzen.

Mein Achtjähriger erzählte, er wolle eine Böse-Gedanken-Verschwinden-Lassen-Maschine erfinden, um diesen Krieg zu stoppen. Und meine Sechsjährige sorgt sich um Angehörige von Freund:innen in der Ukraine. Kinder schnappen Informationen über den zuvor abstrakten Begriff Krieg auf und wollen wissen, was es damit genau auf sich hat. Sie machen sich Gedanken, wollen Erklärungen hören und suchen nach Lösungen.

Klare Antworten auf klare Fragen

Umso entscheidender ist es für Bezugspersonen, den richtigen Umgang zu finden, die richtigen Antworten zu geben auf die Fragen, die beschäftigen. Es sei wichtig, dass sich Kinder gehört und abgeholt fühlen, sagt Psychologin FSP Marielle Donzé, die neben ihrer eigenen Praxis auch beim Elternnotruf tätig ist. «Für mich gilt die Grundregel: Auf klare Fragen klare Antworten geben. Kinder fragen nur, was sie wirklich wissen wollen. Darauf unbedingt antworten, in altersgerechter Sprache, aber nicht mehr erzählen, als das Kind wissen will.»

Für Psychologe Michael Frei von der Beratungsstelle Pinocchio ist besonders wichtig, dass Eltern sich ihrer Rolle bewusst bleiben: «Eltern haben die Verantwortung, dass Kinder Kinder sein dürfen. Wir Erwachsenen müssen unseren Kindern gegenüber deshalb klar signalisieren, dass wir uns Hilfe holen, wenn es uns nicht gut geht.» Ansonsten bestehe die Gefahr, dass Kinder sich für die Gefühle und Sorgen ihrer Eltern verantwortlich fühlen und ihnen helfen wollen.

Nicht nur negative News

Kinder haben starke Sensoren, spüren Stimmungen, die in der Luft liegen. Wie Eltern auf negative Nachrichten reagieren, übertrage sich auch auf sie. Donzé fordert deshalb Ehrlichkeit und Transparenz als Grundhaltung. Zwar könne man Kindern sagen, dass einen die Situation beschäftige, es sei aber essenziell, für Kinder einzuordnen, was passiere, und ihnen Zuversicht zu spenden. «Und man kann auch zeigen, dass es nicht nur negative News gibt, sondern gerade auch viel Gutes passiere: dass weltweit gegen diesen Krieg gekämpft wird, viele Menschen Solidarität zeigen und Hilfe leisten», erklärt Donzé.

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«Für viele Kinder ist es neu, dass wir uns mit Problemen und Krisen beschäftigen müssen. Zu lernen, dass es auch andere Realitäten gibt, das prägt Kinder, aber stärkt sie auch»

Marielle Donzé, Psychologin

Gerade ältere Kinder möchten aktiv mithelfen und etwas unternehmen. Oft realisieren sie bereits ihre eigenen Privilegien und spüren teilweise auch eine gewisse Ohnmacht, so Donzé. «Da können schon kleine Dinge helfen. Abends für die Kinder im Krieg eine Kerze anzünden beispielsweise, oder einen Teil des Sackgelds spenden, mit Jugendlichen an Demos gehen, für den Frieden einstehen.»

Zeit, über Medienkonsum zu sprechen

Sich mit der eigenen, privilegierten Situation auseinanderzusetzen, diese wertzuschätzen, ist für Donzé in der aktuellen Situation auch eine Chance. «Für viele Kinder ist es neu, dass wir uns mit Problemen und Krisen beschäftigen müssen. Zu lernen, dass es auch andere Realitäten gibt, das prägt Kinder, aber stärkt sie auch», sagt die Psychologin.

Gerade momentan werden Medien zu einem grossen Thema, da sie uns einen Blick in andere Realitäten gewähren. Kinder sind oft noch nicht fähig, sich von den Bildern und Informationen, die sie in den Medien aufschnappen, zu distanzieren. Umso bedeutender sei auch hier ein Austausch darüber und das Offensein für Fragen der Kinder, gerade wenn diese bereits selbst mit Medien in Kontakt kommen. «Das kann eine gute Möglichkeit sein, mit Kindern über Medienkonsum zu sprechen, sie zu ermutigen, auch zu Bildern nein sagen zu können, die sie nicht sehen wollen. Sei dies auf dem Pausenplatz oder auf dem Smartphone. Kinder müssen erst spüren lernen, was sie sehen wollen und was ihnen unangenehm ist.»

Mit Fantasie und Ritualen Macht über die Angst gewinnen

Ein stabiles Umfeld, in dem ein ehrlicher Austausch unterschiedlicher Meinungen und eine lebendige Debattenkultur gelebt werden, sei für Kinder hilfreich. So lernen sie, mit Problemen umzugehen sowie ihre Gefühle zulassen und äussern zu können. Donzé sieht die momentane Lage auch als Gelegenheit, als Familie neue Strategien zu entwickeln, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Für die Kinder selbst, aber auch für ihre Eltern.

Sorgen und Ängste gehören zum Menschsein dazu, meint Frei. «Kinder dürfen Angst haben. Ein Leben ohne Angst ist gar nicht möglich. Aber es hilft, wenn sie darüber reden dürfen, äussern können, warum sie Angst haben, und ihnen zugehört wird. So können sie auch einen Umgang mit ihrer Angst finden», sagt der Psychologe. Der Umgang soll besonders für jüngere Kinder möglichst spielerisch sein. Zum Beispiel können sie ihre Angst zeichnen, fantasievolle Geschichten darüber erfinden oder Schutzmauern aus Spielsachen bauen, ergänzt Donzé hierzu. Eltern sollen die Ängste ihrer Kinder ernst nehmen. Sie können sie jedoch ermutigen, sich mit ihrer Angst auseinanderzusetzen und so – auch mithilfe der eigenen Fantasie oder wiederkehrenden Ritualen – Macht über ihre Angst zu gewinnen.

Rituale können Sicherheit und Halt geben

«Rituale helfen, Kinder aus Sorgen herauszuholen und ihnen Sicherheit und Halt zu geben», sagt Donzé. So können wiederkehrende Guten-Morgen-Rituale helfen. Man könne zum Beispiel am Morgen mit den Kindern zusammen das Fenster öffnen, ganz bewusst für einen Moment Farben, Wetter und Stimmung wahrnehmen und so in den Tag starten. Sich immer auf die gleiche Art begrüssen und verabschieden. Oder abends mit den Kindern nach der Gutenachtgeschichte ein Gebet oder einen Wunsch an alle Kinder auf der Welt – und besonders an die Kinder im Krieg – hinausschicken. Auch Atemübungen seien ein gutes Hilfsmittel, schon für kleine Kinder, wenn die Angst kommt, sagt Donzé. Bewusstes Ein- und Ausatmen vermittelt ein Gefühl der Kontrolle.

Und wenn die Angst überfordert – die eigene oder diejenige der Kinder –, empfehlen beide Expert:innen professionelle Unterstützung. Hier sind einige Adressen, die im Notfall weiterhelfen können:

Pinocchio Beratungsstelle für Kinder und Eltern
Elternnotruf
Psychologische Praxis Marielle Donzé
Beratung + Hilfe 147 von Pro Juventute

Die dargebotene Hand 143 

Auch Bücher können ein Mittel sein, um gerade die Fragen kleinerer Kinder zum Krieg zu beantworten. Der NordSüd Verlag hat eine Liste von Büchern zusammengestellt, die sich mit den Themen Krieg, Frieden und Flucht beschäftigen:

Eine Hymne an den Frieden: «Frieden» von Estelí Meza, Miranda und Baptiste Paul

Die Rechte der Kinder: «Ich bin ein Kind und ich habe Rechte» von Aurélia Fronty und Alain Serres

Die Geschichte einer Flucht: «Die Flucht» von Francesca Sanna

Eine Parabel zum Krieg: «Sechs Männer» von David McKee

Was man auf die Flucht mitnimmt: «Der geheimnisvolle Koffer von Herrn Benjamin» von Pei-Yu Chang

Kulturelle Unterschiede: «Wem gehört der Schnee?» von Antonie Schneider

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