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Kinderwunsch: Will ich mal Mutter werden?

Familie

Kinderwunsch: Will ich mal Mutter werden?

Autorin Cleo Libro* war keine drei Jahre alt, als ihre Mutter starb. Heute ist sie über dreissig – und hat mit zehn Müttern über deren Erfahrungen gesprochen. Immer mit der Frage im Hinterkopf: Möchte ich selbst mal Kinder haben?

Jahrelang war ich auf der Suche. Seit ich Ende zwanzig war, intensiver denn je. Ich stellte Fragen, recherchierte Informationen und hörte mir die persönlichen Erlebnisse von jungen und älteren Eltern in meinem Umfeld an. Ich wollte endlich vollumfänglich darüber aufgeklärt werden, was es mit Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft eigentlich auf sich hat.

Warum? Damit ich hoffentlich bald eine informierte Entscheidung darüber treffen kann, ob ich einmal selbst Mutter werden will. Ich hatte die Hoffnung, dass die Erfahrungen und Geschichten anderer Menschen entweder eine profunde Abneigung gegen oder doch einen bislang verborgenen Wunsch nach eigenen Kindern in mir wecken würden. Aber es kam anders.

Meine eigene Mutter starb bereits vor meinem dritten Geburtstag an Brustkrebs. Mein Vater erzog mich allein, weshalb ich nie bewusst erlebt habe, wie es ist, wenn jemand die Mutterrolle für mich übernimmt. Meine Kindheit war dennoch glücklich und für die längste Zeit meines Lebens dachte ich, mir würde nichts fehlen. Wie sollte man auch etwas vermissen können, das man gar nicht kennt?

Heute bin ich über dreissig und habe die Antwort darauf, ob ich einmal Mutter werden will, gefunden. Und obwohl sie in einem tiefen Wunsch nach Mutterschaft wurzelt, ist sie alles andere als ein Kinderwunsch.

Die Rollen, die Mütter spielen – welche sind echt?

Ich gehöre nicht zu diesen Menschen, die mit der Gewissheit auf die Welt gekommen sind, dass sie einmal Kinder in selbige setzen wollen. Stattdessen ist da bisher nur ein gewisses Interesse. Allerdings nicht an Kindern direkt und auch nicht an der Fantasie, meine Gene weiterzugeben. Stattdessen verspüre ich Faszination für die krasse physiologische Erfahrung, mit meinem Körper ein Baby zu produzieren. Aber qualifiziert sich das schon als Kinderwunsch?

Würde ich das Leben mit Kind genug wollen, um die Mutterrolle ausfüllen zu können, die dann von mir erwartet wird?

Da ich ohne Mutter aufgewachsen bin, wurde mein Bild von dieser Rolle hauptsächlich durch die Popkultur der letzten dreissig Jahre geprägt. Die Repräsentationen von Müttern, die mir in Kinderbüchern, Film und Fernsehen oder zuhause bei meinen Schulfreund:innen begegneten, waren allerdings sehr gegensätzlich. Wie verhält sich eine Mutter wirklich? Die teils medial überspitzten Bilder und die wenigen privaten Beispiele halfen mir kaum, eine echte Vorstellung von Mutterschaft zu entwickeln.

Die aufmerksam überbesorgte Hausfrau-Mutti stand gegenüber der ständig abgehetzten berufstätigen Mama. Es gab die übergriffige Neugierde der Mutter, die immer ungefragt ins Zimmer platzt, neben dem Bollwerk von unerschütterlicher Akzeptanz für alle Fehler ihrer Kinder. Und nicht zuletzt wurde in den Neunzigern zum ersten Mal das Bild des warmherzigen Hausmütterchens dem nicht weniger eindimensionalen Sexsymbol der MILF gegenübergestellt. Kurz gesagt: Mich erreichten mixed messages.

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«Wenig ist wahrscheinlich aus der Perspektive von Vielleicht-mal-Müttern so schwierig vorstellbar wie die Tatsache, dass das eigene Leben so plötzlich so anders ist»

Welche dieser Aspekte tatsächlich die Mutterrolle ausmachen und welche nicht, konnte ich alleine nicht klären. Und ohne eigene Mutter wurde mir kein Beispiel vorgelebt, nach dem ich einmal selbst jemanden bemuttern könnte. Was mich ratlos vor der Frage zurückliess, welche mütterlichen Eigenschaften ich eventuell entwickeln würde.

Neurotisch besorgt, dafür immer ansprechbar? Ständig im Wettbewerb mit anderen Eltern um das hochbegabteste Kleinkind, dafür extrem engagiert? Oder doch entspannt-selbstverwirklicht, aber meistens abwesend? Und welches Verhalten als Mutter wäre – mal abseits von meinem angestrebten Selbstbild – wirklich vorteilhaft für meinen Nachwuchs?

Um eine bessere Vorstellung von einer klischeebefreiten Mutterrolle zu bekommen, habe ich zum ersten Mal das getan, was für die meisten anderen Menschen total normal ist: Ich habe Mama um Rat gefragt. Zwar nicht meine eigene, dafür aber gleich zehn Mütter zwischen Mitte zwanzig und Anfang sechzig, deren Gespräche mit mir ich auf meinem Blog veröffentlichen durfte.

Manche der Mamas, mit denen ich sprach, kamen aus meinem Bekanntenkreis, andere waren mir fremd. Alle hatten unterschiedlich viele Kinder und manchmal sogar schon Enkel bekommen. Einige hatten Kinder verloren, andere hatten sowohl Geburten als auch Abtreibungen erlebt. Gerade wegen ihrer grundverschiedenen Lebensgeschichten habe ich ihnen allen diese eine identische Frage gestellt: Was macht eine Person zur Mutter?

Zehn Mütter über Mutterschaft – drei Wahrheiten

Wenn diese zehn Interviews eines hervorgehoben haben, dann dass die Erfahrungen rund ums Muttersein sehr individuell sind. Dennoch gibt es drei grundlegende Aspekte, von denen mir jede meiner Gesprächspartnerinnen berichtet hat. Und ich habe den Eindruck, dass ihre Fundamentalität auch Menschen, die (noch) ohne Kinder leben, ein grundlegendes Bild von Elternschaft vermitteln kann.

Die erste basale Mutterschaftserfahrung klingt so selbstverständlich wie simpel: Veränderung. Wenig ist wahrscheinlich aus der Perspektive von Vielleicht-mal-Müttern so schwierig vorstellbar wie die Tatsache, dass das eigene Leben so plötzlich so anders ist.

Ich persönlich stehe ja sehr auf Veränderungen. Zum Beispiel darauf, im Urlaub an immer andere Orte zu reisen. Oder aufs Möbelrücken, um in der Wohnung für frischen Wind zu sorgen. Also Veränderungen, die nach meinen eigenen Vorstellungen passieren und am besten dann, wenn es mir gerade in den Kram passt.

Laut meiner Gesprächspartnerinnen gibt es aber kaum Kontrolle über die Veränderungen im eigenen Leben, wenn man Mutter wird. Stattdessen beschreiben sie einen Wandel, der meistens von äusseren Umständen bestimmt ist und dem man sich nicht entziehen kann. Und auch die, die sich vorgenommen hatten, einfach ihr altes Leben dann eben mit Kind weiterzuleben, verstanden mit der Zeit, dass die Veränderung, die stattfindet, keine Entscheidung ist.

Die Mutterrolle anzunehmen, bedeutet also, zu akzeptieren, auf welche Weise auch immer sich das eigene Leben verändern mag – und zwar nachhaltig.

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«Ich verstand, dass ich nicht nur eine Antwort auf die Frage hatte finden wollen, wie es ist, Mutter zu sein, sondern auch, wie es sich anfühlt, eine Mutter zu haben»

Diese Nachhaltigkeit steht für den zweiten fundamentalen Aspekt der Mutterrolle, nämlich Verbindlichkeit. In den Interviews beschreiben einige der Mamas ein Mass an Verantwortungsgefühl für ihre Kinder, das absolut und unbegrenzt zu sein scheint. Sie sind sich bewusst geworden, dass diese Fürsorge-Beziehung auf «ein Leben lang» ausgelegt ist.

Ein Level an Verbindlichkeit, das sich die meisten von uns heute von romantischen Beziehungen erhoffen. Für mich klingt das nach einer langlebigen und enorm tiefen Zuneigung. Tiefer noch, als wir sie in romantischen Beziehungen erfahren?

Die Mamas bestätigten diesen Eindruck, was uns zum dritten grundlegenden Aspekt der Mutterrolle bringt. Und zwar betrachten meine Gesprächspartnerinnen die absichtslose Liebe zum Kind als eine einzigartige Lebenserfahrung, die sich besonders durch ihre Bedingungslosigkeit von partnerschaftlicher Liebe unterscheidet. Sie zeichnen das Bild der Zuneigung zum Kind als eine Liebe, die grösser nicht sein könnte und die keine Gegenleistung erwartet.

Wie ich in all dem meine Antwort fand

Auch wenn ich das, was meine zehn Interviewpartnerinnen mir dankenswerterweise so offen erzählten, als Nicht-Mutter nicht nachempfinden kann, schärfte es meine Vorstellung von Mutterschaft deutlich.

Nicht wenige Mütter warnten in den Gesprächen vor der Falle der völligen Selbstaufgabe: «Man verliert leicht das eigene Ich aus den Augen, weil man das Beste für sein Kind möchte», gab mir zum Beispiel Ria (Name geändert), Mutter eines Jungen, zu verstehen.

Sie betonte die Wichtigkeit und oft gleichzeitige Unmöglichkeit der Selbstfürsorge als Mama und dann sagte sie einen Satz, der noch sehr lange in mir nachklingen wird: «Im Idealfall wird man nicht nur zur Mutter für das eigene Kind, sondern auch für sich selbst.»

Die Einsicht traf mich nicht sofort, sondern tatsächlich erst mehrere Jahre nach meinem Gespräch mit Ria. Mehrere Jahre, in denen ich in vielen weiteren Unterhaltungen, in Fachliteratur, aber auch in einer Therapie, in der ich meine Familiengeschichte aufarbeitete, langsam begriff, dass meine Suche nach Wissen zu Mutterschaft viel weniger mit einem Kinderwunsch als mit einem Mutterwunsch zusammenhängt.

Dass mich dieses Thema so in seinen Bann gezogen hat, liegt nicht daran, dass es mich nervös machen würde, wie unklar mir mein Kinderwunsch ist. Sondern dass ich die Leerstelle füllen möchte, die meine eigene Mutter in meinem Leben hinterlassen hat.

Ich verstand, dass ich nicht nur eine Antwort auf die Frage hatte finden wollen, wie es ist, Mutter zu sein, sondern auch, wie es sich anfühlt, eine Mutter zu haben. Als mir die unterschwellige Motivation meiner Suche bewusst wurde, verliess mich zunächst mein Mut. Aus dem simplen Grund, dass es mir schlicht nicht möglich sein wird, die Erfahrung von Mutterliebe durch reine Wissensanhäufung nachzuholen.

Aber ich fand Trost in Rias Worten, die mir eine Möglichkeit eröffneten, auf die ich nie alleine gekommen wäre: Ich kann versuchen, mir selbst eine Mutter zu sein. Und zwar indem ich mir die drei Aspekte der Mutterrolle, die die zehn Mamas mir erklärt haben, zu Herzen nehme und auf mich selbst anwende.

Akzeptanz dafür zu schaffen, dass ich mich verändere, ob körperlich, psychisch oder in meinen Bedürfnissen und Zielen. Und eine verbindliche Fürsorge für mich zu etablieren, die durch eine absichtslose Zuneigung zu mir selbst aufrechterhalten wird. Aus dem einfachen Grund, dass wenn das jemandes Verantwortung ist, dann meine. Klingt kitschig, aber wie sähe die Alternative aus? Einem:einer Partner:in oder einem eigenen Kind will ich diese Verantwortung für mich auf keinen Fall überstülpen.

Wer weiss, vielleicht kriege ich das nach ein paar Jahren Übung ja auch ganz gut hin mit dieser Selbstfürsorge und -akzeptanz. Und wenn ich dann etwas mehr Routine darin habe, eine Mutter für mich selbst zu sein, kann ich immer noch schauen, ob mich das schon an meine Grenzen gebracht hat. Oder ob es mich vorbereiten konnte, um diese Rolle einmal für einen anderen Menschen zu übernehmen.

 

*Autorin Cleo Libro schreibt unter Pseudonym.

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Marcus

Ein wunderschöner Artikel. Gefällt mir sehr. Inhaltlich interessant, angenehmes Vokabular ohne angriffig, anklagend oder zu kämpferisch zu wirken. Mit raffinierter Wendung. Eine richtige Heldenreise. Kurzum: Literarisch gelungen. Etwas gekürzt auf eine Lesezeit von ca. 10 Minuten sehr geeignet für Lesebühnen. Ich meine das nicht zynisch, wirklich ehrlich. Mit diesen Text kannst du Poetry-slams gewinnen und hast eine tolle Message rübergebracht.

Lena

Ich fand den Artikel sehr interessant zu lesen und er hat mir nochmal einiges verdeutlicht. Für mich ist es seit ich ein kleines Kind bin klar, dass ich irgendwann eigene Kinder haben möchte und ich habe glücklicherweise auch eine Mama die mich liebt, allerdings sagt sie immer sie lebt seit wir auf der Welt sind nur noch fremdbestimmt und kann nicht mehr machen was und wie sie das will. Das hab ich immer abgetan gerade in den letzten Jahren, weil wir sind ja jetzt groß und sie muss jetzt ja nicht dauerhaft mehr die Verantwortung für uns übernehmen. Die herausgearbeiteten Thesen unterstützen ja aber genau dieses Gefühl, für immer eine gewisse Verantwortung für seine Kinder zu spüren. Trotz all dem bin ich sicher, dass ich selbst einmal Mama sien möchte und ich denke und hoffe, dass ich dieser Aufgabe irgendwann auch gerecht werden kann, aber erstmal möchte ich noch ein bisschen mein selbstbestimmtes Leben genießen und die Freiheiten, die als Mutter einfach nicht mehr so sehr da sein.

Stephanie

Hilfe – das Leben ist soo schnell vorbei. Wenn man über 30 ist hat man gar nicht die Zeit sich so viele komplizierte Fragen zu stellen. Das ist viel zu verkopft. Egal wieviele Menschen man fragt NICHTS UND NIEMAND kann einem vermitteln, was es bedeutet Mutter zu sein. Das Gehrin einer Mutter verändert sich nachweisbar. Zellen Deines Kindes werden für immer in Deinem Körper weiterleben.Das Leben geht auch ohne Kinder und Enkel vorbei. wenn man zu lange überlegt hat. Wo die einen zuwenig überlegen, überlegen andere zuviel.

Martin

Ich bin zwar ein Mann, der das Thema Kinderwunsch (ebenfalls) nicht teilt… aber ein Zitat ging mir beim Lesen nicht aus dem Kopf: Der Hund ist das einzige Lebewesen auf Erden, das dich mehr liebt, als sich selbst. Und das sein Leben lang.

Silke

Toller Artikel. Meine Mutter starb als ich 1,5 Jahre alt war und es ist nie wieder jemand an ihre Stelle getreten. Jetzt bin ich seit 20 Jahren Mutter. Vorher hatte ich Angst ob ich dadurch eine liebevolle Mutter sein kann. Heute weiß ich’s. Ich bin eine Löwenmutter. Es gibt nichts, was ich nicht für meine Tochter tun würde. Bin mit ihr verbunden und von ihr geliebt aber Mutter für mich zu sein, fällt mir schwer. Aber werde darin immer besser, ich arbeite dran!

Giulia

Meiner Meinung nach wäre diese Erde ein besserer Ort, wenn sich mehr Menschen überlegen würden, ob es Sinn macht und sie wirklich dazu bereit sind, ein Elternteil zu sein. Und sich fragen würden, was gesellschaftliche Anforderungen dabei für eine Rolle spielen. Allen Frauen, die sich gerade in dieser Auseinandersetzung befinden, empfehle ich die arte Doku „My so-called selfish life“, die zeigt, warum manche Frauen bewusst auf Mutterschaft verzichten. Wenn dir ein innerer Instinkt sagt, lass es – dann lass es. Lass dir von niemandem einreden, was du fühlen sollst und hab ja kein Kind, nur weil andere eins kriegen.