Familie
«Ich habe noch immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich mal Zeit für mich brauche»
- Text: Marie Hettich, Sandra Brun
- Bild: Lucas Ziegler; Collage: annabelle
In unserer Rubrik «The Mamas and the Papas» kommen Eltern aus der Schweiz zu Wort: Ein ehrlicher Fragebogen über Liebe, Erschöpfung, politische Missstände und Parenting-Hacks. Diesmal mit Gina, Mutter von zwei Kindern.
Vorname: Gina
Alter: 45
Beruf: Autorin
Kinder: Zwei Kinder, sechs und 14 Jahre alt
Familienstruktur: Leidenschaftlich 50/50 seit immer
Das hat mich am Elternsein am meisten überrascht: Dass man ein anderes Verhältnis zu Zeit und damit auch zu Geld bekommt: Kleine Kinder kosten nicht viel, habe ich oft während meiner Schwangerschaft gehört. Aber niemand hat darüber geredet, dass man weniger Zeit fürs Geldverdienen hat, weil Care-Arbeit von Einzelpersonen getragen wird und nicht von der Gesellschaft.
Am alleranstrengendsten im Alltag mit Kindern finde ich: Dass ich nicht mehr selbst über meine Zeit bestimmen kann, dass man als Eltern ständig unterbrochen wird
Am schönsten im Alltag mit Kindern finde ich: Dass man ständig unterbrochen wird, ist aber auch oft erfrischend: Überraschung ist immer!
«Meine grösste Angst? Die Folgen der Klimakrise»
Eine kürzliche Erkenntnis, die wichtig für mich war: Dass ich die Hälfte zum Familieneinkommen heimbringe. Das mag karrieristisch klingen, aber das ist für mich wichtig, weil das meine Zeit, die ich nicht zuhause verbringe, legitimiert.
Eine Sache, die mir in der Erziehung ganz besonders wichtig ist: Lernen, wie man selbstständig denkt und handelt. Das bedeutet auch: Im richtigen Moment einen Kompromiss machen.
Mein Ventil: Schreiben
Unterschätzt habe ich: Die Tatsache, dass nach wie vor zuerst der Mutter angerufen wird, wenn das Kind in Kita/Schule/Hort krank wird
Mein Ausflugstipp Nummer eins für Familien: Mit dem Nachtzug in die Ferien
Der schönste Film für die ganze Familie: Fussball-WM im Liegen
Ein schnelles Gericht, das alle lieben: Rice Bowl
Meine grösste Angst: Die Folgen der Klimakrise
Etwas, worüber wir Eltern ehrlicher reden sollten: Wie wir unseren Kindern in Zeiten von Klimakrise und gefährdeten Demokratien Hoffnung durch konkrete Taten und auch Verzicht vermitteln können
Das beste Buch für Eltern: «Mutter Natur: Die weibliche Seite der Evolution» von Sarah Blaffer Hrdy
Das bereue ich: Dass ich noch immer ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich einmal Zeit nur für mich alleine brauche
«Mit den Kindern lieber ehrlich statt konsequent sein»
Eine Sache, die ich über mich selbst gelernt habe, seit ich Mutter bin: Dass ich die Kräfte einer Löwin habe, wenn es darauf ankommt
Der beste Tipp für alle frischgebackenen Eltern: Gemeinsam alle Babysachen einsortieren, damit keiner später nachfragen muss, wo die Windeln, Strumpfhosen, Nuggis sind.
Wovor ich meine Kinder sehr gern bewahren würde: Jede Frage zu Krieg
Etwas, das mich ganz nostalgisch stimmt: Meine eigene Kindheit in den 80ern, meine Jugend in den 90er-Jahren
Etwas, das wir im Familienalltag verändert haben – und es viel bewirkt hat: Lieber ehrlich statt konsequent sein. Etwa beim Gamen: Erklären, was im Gehirn beim Gamen passiert, statt darauf zu pochen, bestimmte Zeiten einzuhalten.
Etwas, das ich aufgegeben habe: Die Bildschirmzeit auf allen Geräten zu konfigurieren
Meine erste Massnahme, wenn ich Familienpolitiker:in wäre: Eine Vortragsreihe von Kindern und Jugendlichen für Bildungspolitiker:innen inklusive Simultanübersetzung für die Vorträge der fremdsprachigen Kinder
Unser Lifesaver Nummer eins, immer wieder: Ein Glas Milch für alle
Das nervt mich am Schulalltag: Dass die Spielräume für unkonventionell unterrichtende Lehrer:innen eingeschränkt werden
Das würde ich am Schulsystem ändern, wenn ich könnte: Kleinere Schulklassen und eine Übertrittsprüfung ohne grosse Aufregung für alle
In diesen Momenten schmerzt das Loslassen: Wenn ich das Kind einem System ausliefern muss, mit dem ich nicht einverstanden bin
Ein Entwicklungsschritt meiner Kinder, auf den ich mich freue: Wenn sie zum ersten Mal alleine in die Welt hinausziehen
Die Schwangerschaften waren … unkompliziert, seltsam, schön auch.
Komplett ans Limit komme ich, wenn … ich zu sehr mit Bürokratie konfrontiert werde.
Zuletzt so richtig verzweifelt war ich … beim Anblick der Lego-Friends-Figuren: Sie sind nicht nur deutlich pastelliger, sondern auch weitaus schlanker und hochgewachsener als die anderen Lego-Figuren. Selbst dem Kind fiel das auf und mir fiel beim besten Willen keine Antwort ein, warum sie so Model-mässig daherkommen.
Alles wäre so viel einfacher, wenn … wir als Gesellschaft endlich verstünden, dass Sorgearbeit nie individuell, sondern immer für uns alle ist.
Wenn Geld keine Rolle spielen würde … wäre ich mehr zuhause.
Erziehungstipps … lese ich immer mit Vergnügen.
Hier findet ihr alle Folgen «The Mamas and the Papas»