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Hadern mit dem Kinderwunsch: Die Antwort einer Mutter

Hadern mit dem Kinderwunsch: Die Antwort einer Mutter

Mutterwerden – ja oder nein? In der "NZZ am Sonntag" schreiben zwei befreundete 37-jährige Journalistinnen über ihre Zweifel. Ein Antwortbrief von Marie Hettich, Co-Leiterin Digital bei annabelle, die dieselben Fragen quälten – und die sich dennoch für ein Kind entschied.

Liebe Salome, liebe Rafaela

Gerade habe ich euren zauberhaften Briefwechsel verschlungen. In der "NZZ am Sonntag" schreibt ihr darüber, wie schwer es euch fällt, trotz toller Beziehung eine Entscheidung zu treffen: Mutterwerden – ja oder nein?

Wir drei haben viel gemeinsam. Ich bin auch 37. Und ich kann euer Hadern so gut nachvollziehen. Mir ging es jahrelang genauso. Bis ich mich irgendwann traute – und schwanger wurde. Mein Kind, unser Kind, ist heute dreieinhalb.

Ich möchte mich in euren Briefwechsel einklinken, weil mir beim Lesen einiges durch den Kopf ging, was ich gern sagen würde. Jetzt, aus meiner Perspektive als Mutter, die um ein Haar keine Mutter geworden wäre.

Wie ihr schreibt: Schwangerschaft, Geburt, Mutterschaft – all das fädelt sich heutzutage nicht mehr selbstverständlich in den vollen Alltag vieler Frauen ein. Im Gegenteil: Jahr um Jahr vergeht, wir haben viel zu tun, unsere Leben sind intensiv. Erfüllend. Vielleicht geht man lange mit der Haltung "Kinder wahrscheinlich schon mal, aber jetzt noch nicht" durchs Leben. Bis man irgendwann realisiert: Ewig lang Zeit kann ich mir mit der Entscheidung nicht mehr lassen.

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"Ich hatte immer Angst davor, dass sich mit einem Kind für mich alles und für meinen Partner so gut wie nichts verändern würde"

Entschieden, es zu probieren, haben mein Freund und ich 2020 während der Corona-Pandemie. Sie zwang uns zum Innehalten. Jegliche Ablenkung war weg; und so stand die Kinderfrage, die über Jahre bei uns so nebenbei mitgeschwungen hatte, plötzlich laut und fordernd mitten in unserem Wohnzimmer. Sie wollte beantwortet werden. Heute frage ich mich manchmal, ob ich ohne die Pandemie überhaupt jemals schwanger geworden wäre.

Ich hatte immer Angst davor, dass sich mit einem Kind für mich alles und für meinen Partner so gut wie nichts verändern würde. Mutterwerden – so radikal lebensverändernd und kräfteraubend, wie ich es um mich herum wahrnahm – wollte ich nicht. Nur zusammen Elternwerden, das war für mich vorstellbar.

Hierfür fehlten mir aber die Vorbilder. Meine eigene Mutter wurde mit 23 zum ersten Mal schwanger – "damals ganz normal" – bekam noch zwei weitere Kinder, und war immer Familienfrau, während mein Vater Karriere machte. Und auch in meinem gleichaltrigen Umfeld begegnete ich vor allem Mütter, die beim genaueren Hinschauen den Grossteil der Familienarbeit stemmten – selbst wenn sie 60% oder sogar 80% erwerbstätig waren.

Auch jetzt noch erlebe ich immer wieder Mütter, mit deren Lebensrealität meine so wenig gemein hat, dass ich in ihrer Anwesenheit manchmal fast vergesse, dass ich selbst Mutter bin.

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"Ein gemeinsames Baby konnte ich mir nur unter klaren Rahmenbedingungen vorstellen"

Ich denke, in meinem Fall hat es vor allem drei Gründe, dass sich meine Befürchtungen, wie mein Leben als Mutter aussehen würde, bis heute nicht einstellten.

Erstens: Ich hatte nie einen klaren 100%-igen Kinderwunsch; bis zum Schluss nicht, als wir uns dazu entschieden, die Verhütung wegzulassen. Ein gemeinsames Baby – so schön ich vieles an der Idee fand – konnte ich mir darum nur unter klaren Rahmenbedingungen vorstellen: Nach der Geburt eine sechsmonatige gemeinsame Elternzeit mit meinem Partner, im Anschluss das gleiche Pensum im Job und die gleiche Anzahl Betreuungstage. 50/50, auch on paper.

In den zweifelnden Jahren vor meiner Schwangerschaft las ich alles, was ich zum Thema gleichgestellte Elternschaft finden konnte. Gerade die Autorin Patricia Cammarata fand ich hier hilfreich, die sich auch mit der unsichtbaren Arbeit, dem Mental Load, befasst – der wahrscheinlich grössten aller Gleichstellungsfallen.

Durch das viele Lesen erfuhr ich beispielsweise, dass es Sinn macht, das Baby nachts neben den anderen Elternteil zu legen – und sich das Kind, falls man stillt, zum Stillen jeweils rüberreichen zu lassen, sobald es sich meldet. So verändert sich nicht nur das Gehirn der Mutter dahingehend, dass sie bei jedem Pieps des Babys wach wird – sondern auch das des anderen Elternteils. Das war nämlich eine meiner persönlichen Horrorvorstellungen: hellwach und mit Durchstillen verbrachte Nächte, während mein Freund friedlich vor sich hinschnarcht.

Ausserdem las ich, dass man schon nach wenigen Wochen versuchen kann, dem Baby zusätzlich zum Stillen abgepumpte Muttermilch aus der Flasche zu füttern. Ich hatte damals bei der Hebammensuche den Wunsch nach dem sogenannten "Shared Breastfeeding" sogar in der Mailanfrage erwähnt, weil ich sicherstellen wollte, dass ich nicht bei einer mich mum-shamenden Dogmatikerin lande. Und weil wir Glück hatten und alles nach meiner Wunschvorstellung verlief, konnte ich schon wenige Wochen nach der Geburt mit Freundinnen ins Kino, während mein Freund unserem Baby zuhause die Flasche gab – und fühlte mich frei.

Dass mein Freund die Bedürfnisse unseres Kindes genauso gut erfüllen kann wie ich – davon war ich von Anfang an überzeugt. Und wann immer ich mich doch mal bei einem mutterideologischen Gedanken erwischte, und dachte, ich höchstpersönlich müsste zum weinenden Kind rennen, um es zu trösten, erinnerte ich mich an meine guten Vorsätze. Ich habe ihn machen lassen – und ich denke, dass dies absolut ausschlaggebend ist, wenn man als Mutter eine gleichgestellte Elternschaft leben möchte.

"Auch vor unserem Umzug vor einem Jahr haben wir nach einem erneuten Erbvorbezug gefragt"

Der zweite Grund, warum ich meine Mutterschaft anders erlebe als befürchtet, liegt schlicht darin, dass mein Freund und ich in vielem privilegiert sind. Die sechsmonatige gemeinsame Elternzeit konnten wir in der Schweiz beispielsweise nur umsetzen, weil wir Erspartes hatten und zusätzlich die Eltern meines Freundes nach einem Erbvorbezug fragen konnten. Und natürlich, weil unsere Arbeitgeber:innen den "unbezahlten Urlaub" überhaupt gestatteten.

Auch vor unserem Umzug vor einem Jahr haben wir nach einem erneuten Erbvorbezug gefragt, um uns trotz unserer hohen laufenden Kosten das Zügelunternehmen und ein paar neue Anschaffungen leisten zu können. Ich sage es ehrlich: Ohne diese Möglichkeit wäre es für uns als Familie in der Stadt Zürich finanziell sehr, sehr tight. Wie ihr schreibt, sind die Kitakosten tatsächlich ein Skandal – ich kann es Monat für Monat kaum fassen, wenn ich auf die Abrechnung schaue.

Unsere Jobs als Journalist:innen erlauben es uns ausserdem, bei Bedarf im Homeoffice zu arbeiten und unsere Arbeitszeit auch mal flexibel einzuteilen. Wenn unser Kind krank ist und nicht in die Kita gehen kann, teilen wir uns den Betreuungstag meistens zusammen auf, sodass beide das Wichtigste auf der Arbeit erledigen können.

"Mein Freund wollte unbedingt ein Kind – mehr als ich"

Und der dritte Grund: Mein Freund wollte unbedingt ein Kind – mehr als ich. Ich glaube, dass für Mütter, gerade in einem familienpolitisch rückständigen Land wie der Schweiz, die:der Partner:in unglaublich entscheidend ist. Zuhause ständig Kämpfe führen zu müssen, wer was macht – dafür reicht die Energie definitiv nicht mehr, sobald das Baby da ist.

Jedes unserer Gespräche vor der Schwangerschaft hat dazu beigetragen, dass ich in meinem Hadern etwas ruhiger wurde. Weil ich gemerkt habe: Ich bin eben nicht allein. Wir werden zusammen Eltern. Und bis heute sind diese Gespräche und Verhandlungen, so platt das auch klingen mag, die Basis unserer gemeinsamen Elternschaft.

Warum ich euch all das schreibe? Ich glaube, ich möchte euch sagen, dass das Muttersein von viel mehr individuellen Faktoren abhängt, als ich immer dachte. Und dass es – wenn man Glück hat – im Elternalltag mehr Gestaltungsfreiraum gibt, als man angesichts der desaströsen politischen Ausgangslage meinen könnte.

Die so verallgemeinernde Frage im Titel zu eurem Briefwechsel – "Gehört Mutterschaft zu einem vollen Leben?" – möchte ich entschieden verneinen. Ich bin froh um jede Frau mehr, die sich heutzutage bewusst für ein Leben ohne Kinder entscheiden kann.

Aber ich kann festhalten: Für mich ist Mutterschaft trotz der allergrössten Befürchtungen nicht zur Selbstaufgabe geworden. Ich bin dankbar, dass ich mich, obwohl ich nie einen 100%-igen Kinderwunsch hatte, darauf eingelassen habe. Nicht zuletzt, weil man eine Sache bei all den Überlegungen einfach nicht einkalkulieren kann: das überwältigende Sich-Verlieben in diesen kleinen Menschen. Diese Liebe, die immer aufregender und schillernder wird.

Ich wünsche euch alles Gute,
Marie

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