Über Kinder lachen, Machtworte sprechen, sie gegen ihren Willen knuddeln: Adultismus ist omnipräsent, schreibt Co-Leiterin Digital Marie Hettich in ihrem Kommentar. Und als Mutter weiss sie auch: Es ist nicht einfach, immer fair zu bleiben.
Ich habe die Angewohnheit, dass ich in sehr erschöpftem Zustand manchmal fiese Dinge zu anderen Erwachsenen über unser dreijähriges Kind sage, wenn es neben mir steht und alles mithören kann. Es sind Sätze wie: «Boah, ist er heute anstrengend! Ich zähle die Stunden, bis ich ins Yoga kann.»
Als ich kürzlich einen Artikel über Adultismus entdeckte, die strukturelle Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen, liess mich das Thema nicht mehr los. Immerhin sind knapp ein Drittel der Schweizer Bevölkerung minderjährig. Ich fragte mich: Wie zeigt sich Adultismus in unserer Gesellschaft? Erkenne ich ihn auch in meinem eigenen Verhalten?
In den darauffolgenden Wochen konnte ich gar nicht anders, als mich im Umgang mit unserem Kind zu beobachten. Und tatsächlich – immer wieder tat ich Dinge, die als klassische Fälle von Adultismus genannt werden: über das Kind zu reden oder gar zu lachen, wenn es danebensteht. Oder mir meinen Sohn ohne Vorankündigung zu schnappen, wenn ich weiterwill, er aber nicht, und mir der Geduldsfaden reisst. Wie gross die Verzweiflung dieser kleinen Menschen ist, wenn sie gepackt und abtransportiert werden, kann man täglich in jedem Supermarkt und auf jedem Spielplatz beobachten.
«Jeden Bissen beim Znacht kontrollieren, in jedem Spiel dazwischenfunken – auch das ist Machtausübung»
Mittlerweile sehe ich die Facetten des Adultismus überall: wenn ein Kind hinfällt und es heisst: «Ist doch nicht so schlimm!» Wenn Kinder gegen ihren Willen geknuddelt und geknutscht werden. Wenn Machtwörter wie «Keine Widerrede» oder «Weil ich es dir sage» gesprochen werden.
Oder auch dann, wenn Eltern, die nach heutigem bindungsorientiertem Ideal alles richtig machen wollen, ihre Kinder aber vor lauter Fürsorge nicht mehr aus den Augen lassen und ihnen dauernd Entscheidungen abnehmen. Jeden Bissen beim Znacht kontrollieren, in jedem Spiel dazwischenfunken. Auch das ist Machtausübung, wenn auch in der Puderzucker-Variante.
Adultismus ist omnipräsent: in Restaurants, im ÖV und in Wartezimmern, wo Kinder oft nur dann geduldet werden, wenn sie sich verhalten wie kleine Erwachsene – still und unauffällig. Oder in der architektonischen Ausgestaltung von Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden: So bekommen Kleinkinder beispielsweise selten ein Treppengeländer zu greifen – obwohl gerade sie es am häufigsten bräuchten.
Die Auswirkungen können gravierend sein. «Bei manchen (Kindern) führt Adultismus zu Unsicherheit und Selbstentwertung, bei anderen zu Frustration und Widerstand. Wiederum andere resignieren, verstummen oder geben den erlebten Schmerz an Schwächere weiter», schreiben der Sozialwissenschafter Manfred Liebel und der Kinderrechtsbeauftragte Philip Meade in ihrem Buch «Adultismus: Die Macht der Erwachsenen über die Kinder». Doch sei Adultismus in fast allen Gesellschaften so alltäglich, dass er selten als Problem wahrgenommen würde.
Höchste Zeit also, ihn als Problem zu begreifen. Und, wie so oft, können wir bei uns selbst anfangen. Für mich bedeutet das: Im Umgang mit meinem Kind genau hinzuschauen, wo Grenzen legitim oder schlicht notwendig sind – und wann ich so mit ihm umgehe, wie ich es mit einem Erwachsenen niemals tun würde.
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Ein Teil der als Adultismus beschriebenen Umgangsformen sind: Grenzen setzen, stark sein: den Sohn greifen, wenn es sein muss, er aber nicht will, kann sehr wichtig sein. Hier sind leider die Grenzen zwischen Adultismus und Erziehung/Vorbild nicht gesetzt. Über das Kind lachen oder schlecht reden, wennes dabei ist, geht allerdings wirklich nicht – hier gilt einfach: “Was Du nicht willst was man dir tu das füg auch keinem anderen zu”.
Kinder können gnadenlos überfordert sein, wenn man alles erklärt und sie alles selbst mitbestimmen dürfen oder sollen. es ist auch für Kinder manchmal einfacher, wenn sie keine Wahl haben (oder die Wahl verschieben: “es geht auch jeden Fall in den Kindergarten, du darfst aussuchen, welchs T-Shirt du anziehst und welches Obst/Gemüse in die Brotbox soll” – na wenn das keine Wahl ist..)- das kann man auch freundlich vermitteln. Diese Gratwanderung ist schwer, keine Frage, aber notwendig – zumal man sich auch als Eltern Grenzen setzen muss und sich nicht überforern darf mit der immerwährenden Auseinandersetzung/gleichberechtugten Kommunikation mit Kindern – das har auch negative Auswirkungen auf das Kind. Sagt eine Mutter aus Erfahrung, ich habe es auch anders gemacht und es hat meinen Kindern nicht immer gutgetan.
Das ist meiner Erfahrung nach zu kurz gegriffen, dass es legitim ist Kinder in den Kindergarten zu zwingen. Nichts anderes ist es, wenn ich ich ihn ein Kind an die Hand nehme und in den Kindergarten zerre…
Kinder haben immer einen guten Grund und sind auch oft in Not, wenn sie sich widersetzen.
Mit einer wohlwollenden und tiefen Bindung zum Kind, ist es IMMER kooperativ, wenn es dem Kind gut geht.
Für mich ist es die größte Herausforderung, mich in das Kind – in seinem Trotz oder seiner Wut – hineinzuversetzen, um eine angemessene Lösung zu finden. Gründe erklären ist gut, hilft aber nicht immer. Kompromisse aushandeln klappt auch nur manchmal… Das richtige alternative Angebot zu finden, welches ablenkt und bewirkt, dass das Kind freiwillig weitergeht, das ist m.E. die ganz hohe Kunst. Manchmal ist es nur ein zufällig am Ende der Straße geparkter Bagger, der dringend angesehen werden muss. Aber oftmals braucht es mehr Kreativität – ich wünschte ich hätte die häufiger.
Es geht, meiner eigenen Erfahrung nach, mit meinen Kindern, primär um die Bindung zu ihnen. Wenn diese warm und klar ist, dann gehen Kinder immer in Kooperation.
Gordon Neufeld und TransParents beschreiben dies sehr ausführlich.