«Es ist nicht immer dieses Aaah-Uuuh-Aaah»
- Interview: Kerstin Hasse
Regisseurin Erika Lust macht feministische Pornos. Wer Bioeier kauft, sollte sich auch um die Qualität und Fairness von Erotikfilmen kümmern, sagt sie.
In Barcelona weist ein unscheinbares Schildchen am Passeig de Picasso auf das Büro von Erika Lust hin: ein weisser Schriftzug, darunter zwei Herzen die einen üppigen Schmollmund bilden. Während vor dem kleinen Café im Parterre des Hauses Wasserflaschen und Früchtekartons ein- und ausgeladen werden, setzt sich eine Wendeltreppe weiter oben Erika Lust (39) an ihren Bürotisch. Hinter ihr eine ekstatische Angelina Jolie (ein Bild von David La Chapelle), daneben Fotos, die Szenen ihrer Pornofilme zeigen. Die Regisseurin setzt in dieser schmucken Altbauwohnung Fantasien in filmische Wirklichkeit um. Fast hundert Kurzfilme hat sie im Rahmen ihres Projekts «X Confessions» bereits realisiert – allesamt Kurzfilme, die auf den erotischen Träumen ihres Publikums basieren.
annabelle: Erika Lust, Sie haben aus der Fantasie eines Mannes eine kleine psychedelische Oralgeschichte gemacht. Kann ein Film, der sechs Minuten einen Blowjob zeigt, ein feministisches Statement sein?
Erika Lust: Was heisst es denn, eine Feministin im Schlafzimmer zu sein? Für mich bedeutet dies: dass du dir das holst, was dir gefällt, und du dich traust, das, was du willst, auch laut auszusprechen. Wie deine sexuellen Vorlieben aussehen, definiert hingegen nicht, ob du eine Feministin bist. Deshalb denke ich auch nicht, dass ein Film feministisch ist, wenn er bestimmte Positionen oder Sextechniken zeigt oder nicht, sondern wenn er von einer Frau kreiert wurde, zusammen mit einem Team von Frauen. Das macht den Unterschied. Ausserdem sorgen wir natürlich dafür, dass es den Frauen vor der Kamera gut geht und dass sie sich wohlfühlen in dem, was sie tun.
Sollte eine Frau, die sich 2017 eine Feministin nennt, Ihre Filme anschauen?
Nein, nicht unbedingt. Wenn man Pornos attraktiv findet, dann ja. Wenn nicht, dann nein. Grundsätzlich gilt: Wir alle wurden geboren, um Sex zu haben, es ist eine natürliche Sache. Es ist wichtig, sich selbst und den eigenen Körper kennen zu lernen und zu wissen, was einen antörnt und welche Berührungen man mag. Nur wenn du selbst weisst, was dir Lust bereitet, kannst du es von einer anderen Person auch verlangen.
Braucht es feministische Pornos zur Aufklärung?
Vielleicht schon. Eine der grössten Lügen all dieser Mainstream-Pornofilme ist, dass Frauen allein durch Penetration zum Orgasmus kommen. Das ist Bullshit. Die meisten Frauen kommen nur, wenn sie sich selbst berühren, auch wenn der Mann seine Sache im Grunde richtig gut macht. Das sehe ich auch bei unseren Darstellerinnen. Ich habe das Gefühl, dass viele Frauen, die Mainstream-Pornos schauen, denken, dass etwas nicht stimmt mit ihnen, wenn sie nicht einfach so kommen. Dabei jagen sie einer Fantasie nach. Einer Fantasie von Männern, die meinen, sie selbst hätten einen magischen Vibrator in der Hose.
Dass der Mann gekommen ist, lässt sich filmisch halt auch leichter belegen.
Genau. Der Mainstream-Porno hat definitiv keine gute Arbeit geleistet, wenn es darum geht, einen weiblichen Orgasmus darzustellen. Die Orgasmen von Frauen sind dort einfach nur Fake: lautes Geschrei. Dabei ist es genau nicht die Art und Weise, wie Frauen im Normalfall kommen. Viele sind eher still. Wenn Männer mich fragen, wie sie sehen können, ob eine Frau einen Orgasmus hat, sage ich: «Schau sie an! Ihre Pupillen werden grösser, ihre Brust rötet sich, der Körper vibriert. Es ist nicht immer dieses Aaah-Uuuh-Aaah!»
Ihre Darstellerinnen empfinden echte Lust?
Ja, sicher, sonst würde ich die Arbeit unterbrechen. Sie kommen sicher nicht bei jedem Dreh, aber das ist auch in der Realität nicht der Fall.
Wie muss ein Porno aussehen, den eine Frau heute mögen könnte?
Es ist schwierig, uns alle in einen Topf zu werfen. Jede Frau mag andere Dinge, und das ist auch gut so. Aber wenn wir fachlich darüber reden, dann muss es ein Porno sein, der nun mal fucking Respekt zeigt gegenüber Frauen. Wenn das die Basis ist, kann so ein Film superschön sein oder amateurmässig, das ist nicht wirklich wichtig. Wichtig ist der Respekt. Wir wollen uns repräsentiert fühlen auf dem Bildschirm. Wir Frauen müssen uns bewusst werden, dass wir stark sind als eine Gruppe von Konsumentinnen.
Was meinen Sie genau damit?
Im Alltag müssen wir uns entscheiden, wie die Kleider produziert sein müssen, die wir uns kaufen, und ob wir Bioeier wollen oder solche aus der Massentierhaltung. Das alles sind politische Entscheidungen. Wenn es um Pornos geht, haben wir noch nicht begriffen, dass wir ebenfalls die Macht haben, Entscheidungen zu treffen. Wenn es dir nicht gefällt, wie die Frauen in einem Porno dargestellt werden, dann schau ihn dir nicht an. Und sag das auch deinem Freund! Oder sieh nach, ob du Infos darüber findest, wer hinter einem Film steht. Gibt es zum Beispiel Interviews mit dem Regisseur? Findest du nichts, kein Firmenporträt, noch nicht einmal ein Making-of: Wie solltest du dann beurteilen können, ob die Leute, die da mitgemacht haben, wenigstens einigermassen gut behandelt wurden?
Sie haben mit Ihrem Projekt «X Confessions» schon fast hundert Sexfantasien filmisch umgesetzt. Unterscheiden sich die Fantasien von Männern und Frauen?
Viele Leute verwenden ein Pseudonym, deshalb kann ich nicht immer wissen, ob eine Frau oder ein Mann die Fantasie eingereicht hat. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass sie sich grundsätzlich stark voneinander unterscheiden, auch wenn das viele Leute vermuten. Es gibt viel eher Kategorien, die sehr viele Zuschauerinnen und Zuschauer gleichermassen ansprechen. Wir bekommen zum Beispiel viele Fantasien, die sich um einen Dreier drehen – und dies in allen möglichen Konstellationen. Die meisten Leute haben Vorlieben, die viel normaler sind, als man gemeinhin erwartet.
Ihre Site besuchen nicht nur Frauen, sondern auch viele Männer.
Allerdings! Sechzig Prozent unserer Visitors sind Männer, bei den angemeldeten Usern liegen wir bei fünfzig zu fünfzig. Viele Leute verstehen nicht, dass meine Filme nicht nur für Frauen sind. Sie sind von Frauen gemacht, und sie zeigen weibliche Sexualität – aber sie sind für alle da. Ich bekomme oft Mails von Männern, die mir schreiben: «Oh wow, ich hatte ja keine Ahnung, der Film war toll! Ich habe ihn meiner Frau gezeigt, und wir hatten eine unglaubliche Nacht, vielen Dank, Erika.»
Empfinden Sie Ihre Arbeit als politisches Statement?
Ja. Aber ich empfinde auch die Tatsache, eine Frau zu sein, als politisches Statement. Mein Job gibt mir die Möglichkeit, die Welt zu verändern, indem ich etwas mache, das ich liebe und woran ich glaube. Ich benutze erotische Filme, um die Haltung von Leuten zu verändern. Ich zeige den Frauen, dass man auch als Frau Pornos schauen kann und sich dabei gut fühlen darf. Dass man nicht nur dem Mann zur Verfügung stehen muss, sondern nach seiner eigenen Lust suchen darf. Aber da draussen gibt es viel Slut-Shaming. Und Frauen, die sexuell aktiv sind und öffentlich dazu stehen, werden nach wie vor oft attackiert – von Männern, aber auch von Frauen. Ich selbst erlebe das immer wieder, wenn ich öffentlich über meine Arbeit rede.
Inwiefern?
Im Internet gibt es viele Hasser. Viele Männer schreiben mir, es sei völlig unnötig, was ich mache. Das verstehe ich nicht. Wenn sie andere Pornos schauen wollen, dann sollen sie nachhause gehen und das tun. Offenbar fühlen sie sich von mir bedroht. Sie bezeichnen mich als «Feminazi» und sagen, ich soll zurück nach Schweden, um Kühe zu melken – warum auch immer! Sie verstehen das vielleicht, solche Vorwürfe erhalten wohl nur wir Frauen aus Schweden und aus der Schweiz.
Wie erklären Sie sich diese Aggression?
Ich glaube, viele Männer denken: Diese Bitch nimmt mir meine Pornos weg. Aber das will ich gar nicht. Pornofilme machen einen Drittel des gesamten Internet-Traffics aus. Das ist wahnsinnig viel. Wir wissen also: Leute wollen Pornos sehen, und das ist auch gut so. Ich will einfach nur darüber reden, weil die meisten dieser Mainstream-Pornos schlechte Komponenten haben.
Zum Beispiel?
Mir geht es nicht unbedingt um die Penetration und auch nicht darum, wie explizit Sex dargestellt wird. Mein Grundproblem ist: Mir gefallen die Genderrollen nicht, die diese Filme jungen Generationen vermitteln. Männer lernen, dass sie sich zurücklehnen und geniessen dürfen, und Frauen lernen, dass sie die Arbeit machen müssen, dass sie den Männern dienen sollen. Das ist nicht richtig! Ich will nicht, dass junge Frauen mit dem Gefühl aufwachsen, sie müssten sich wie Pornostars verhalten. Nicht einmal Pornostars haben im echten Leben Sex wie Pornostars. Mainstream-Pornos repräsentieren nicht richtigen Sex, sondern die Fantasie einer bestimmten Gruppe von heterosexuellen weissen Männern mittleren Alters. Diese Männer haben die Fantasie, eine Frau zu ficken – und fertig. Aber Sex ist doch so viel mehr. Wir müssen Alternativen zu diesen Mainstream-Pornos schaffen und die kommenden Generationen umerziehen.
Zu bewussteren Pornozuschauern?
Genau. Wenn wir es schaffen, die kommenden Generationen so zu erziehen, dass sie Pornos, die nicht gut und nicht fair sind, erkennen, dann ist das ein grosser Schritt. So werden sie zu verantwortungsvollen Konsumenten, die bessere Pornos verlangen. Wir müssen mit unseren Kindern früh über Pornos reden und dürfen das Thema nicht ignorieren. Deshalb habe ich auch die Non-Profit-Organisation Thepornconversation.org gegründet. Sie soll helfen, Aufklärungsarbeit zu leisten.
Wir sollen mit Kindern über Pornografie reden?
Ja. Denn ob es uns gefällt oder nicht, Pornos sind überall: in jedem Telefon, auf jedem Computer, jedem Tablet. Ich kann dafür sorgen, dass meine Töchter keinen Zugang zu schlechten Pornosites zuhause haben, aber ich weiss nicht, was mit ihnen passiert, wenn sie zu einer Kollegin gehen. Ich kann nicht kontrollieren, was sie sehen. Meine Internetsite kann Eltern und Lehrern helfen, Kinder über Pornografie aufzuklären. Man muss ihnen erklären: Es gibt Pornos, die sind im Computer, die meisten sind sehr explizit, die sind manchmal sehr hässlich, oft sehr aggressiv gegenüber Frauen, und sie vermitteln Bilder, die nicht stimmen.
Ihre Töchter sind sechs und neun Jahre alt. Sprechen Sie mit ihnen über Ihre Arbeit?
Ja, sie wissen, was ich mache – sie verstehen es wohl einfach noch nicht ganz. Meine ältere Tochter versteht zum Beispiel, dass ich eine Firma habe mit 16 Angestellten und dass ich Filme mache mit erwachsenen Leuten, die sich zum Beispiel küssen. Sie weiss, dass ich manchmal im Fernsehen bin oder in Zeitschriften, und sie denkt, dass ich ein bisschen berühmt bin, was ihr gefällt. Ich denke nicht, dass sie Sex bereits mit Lust verbindet. Sie denkt einfach: Mein Mami macht Filme mit nackten Menschen drin.
Exklusives Angebot für annabelle-Leserinnen und -Leser
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