Body & Soul
Elternfrust – Ich will mein Leben zurück!
- Text: Franziska K. Müller; Fotos: Roderick Aichinger
Machen Kinder unglücklich? Sie rütteln am Selbstbild, ruinieren die Figur, kosten viel Geld und setzen die Partnerschaft unter Stress. Eltern reden Klartext. Sie auch?
Die Frau trägt Designerjeans, ein bunt gemustertes T-Shirt, hohe Absätze. Am Arm baumelt eine riesige Ledertasche. Optisch könnte die dreifache Mutter als urbane Berufsfrau durchgehen. Als eine, die sich Prosecco-schlürfend in einer Runde von unbeschwerten Kinderlosen über jene lustig macht, deren Alltag sich um Windelmarken und Schulprobleme dreht. Der Eindruck täuscht. Vom Leben davor sind nur die schlanke Silhouette, die schönen Schuhe und die Wohnung im Zürcher Seefeldquartier übrig geblieben. Bei der ersten Schwangerschaft brach Eloise Mertens (Name geändert) das Studium ab. Jetzt sind ihre drei Buben zwischen zwei und sieben und sie mit 31 Jahren Vollzeithausfrau.
Den Freundinnen von einst erzählte sie zunächst nicht viel über die Kinder. Am Anfang könne man noch so tun, als ob einen der neuste populärphilosophische Wälzer, die heissen Affären im Bekanntenkreis und alle Einzelteile der neuen Prada-Winterkollektion interessierten. Irgendwann fehle aber dazu die Energie, manchmal auch die richtigen Worte. «Nach einem superhektischen Alltag bin ich hundemüde und ausgelaugt», sagt Eloise Mertens. «Wenn dann am Abend eine Freundin von früher anruft, packt mich das Entsetzen. Was soll ich der erzählen?» Dass sie sich weigere, den Buben Spielzeugwaffen zu kaufen, diese jedoch aus Ästen ein Maschinengewehr bastelten? Dass ihr der liberal erzogene Nachwuchs Befehle erteile und von Kompromissen nichts wissen wolle? Dass der Alltag spätestens beim zweiten Kind öde, weil er repetitiv werden könne? Dass ihre Arbeit selten gelobt werde?
Das Glück mit den Kindern sei oft riesengross und mit nichts anderem zu vergleichen. «An solchen Tagen stürmen sie auf mich zu, werfen sich in meine Arme, zeigen mir, was sie im Kindergarten oder der Schule für mich gemalt haben. Im nächsten Moment schmeissen sie sich Bauklötze an den Kopf und schreien herum. Wenn die völlige Harmonie aus dem Nichts heraus in Streit und Tränen übergeht, frage ich mich manchmal, wie ich mich überhaupt auf diesen Wahnsinn einlassen konnte», sagt Eloise Mertens.
Die Frage, ob Kinder glücklich machen oder nicht, beschäftigt zurzeit die Fachwelt. Auftakt zur Diskussion bildete eine Untersuchung des US-Verhaltensforschers Daniel Kahneman, der 900 texanische Mütter zu ihren Lieblingsbeschäftigungen befragte. Am häufigsten genannt wurden: Gymnastik treiben, shoppen, kochen, telefonieren, TV schauen, lesen, Radio hören sowie acht weitere Aktivitäten, darunter waschen und putzen. Die Kinderbetreuung folgte an 16. Stelle.
In den USA und England widmen sich Ökonomen, Soziologen und Psychologen dem Thema. Der britische Wirtschaftswissenschafter Andrew Oswald verglich in einer Grossuntersuchung Zehntausende von britischen Müttern und Vätern mit kinderlosen Frauen und Männern und kam zum Schluss: «Kinder machen uns nicht unglücklich; sie machen uns aber auch nicht glücklicher.» Seine Untersuchung ergab zudem: Mütter sind weniger glücklich als Väter, Alleinerziehende weniger zufrieden als Mütter mit einem Partner. Babys und Kleinkinder sind die grösste Belastung. Je niedriger das Haushaltseinkommen einer Familie, desto grösser die Unzufriedenheit der Eltern, und bei jedem weiteren Kind verstärken sich die negativen Effekte deutlich.
Die US-Soziologin Robin Simon geht in ihren Aussagen noch weiter. Ob verheiratet oder nicht, mit einem Kind oder mehreren: «Eltern sind depressiver als Nicht-Eltern.» Ein Versuch der schottischen Publikation «Journal of Happiness», die Fakten umzuinterpretieren («Die meisten Eltern sind glücklich»), endete in der kleinlauten Berichtigung, man habe die wissenschaftlichen Daten falsch interpretiert. Das korrigierte Fazit: «Der Effekt von Kindern auf die Zufriedenheit von verheirateten Eltern ist im positiven Sinn nie signifikant.»
So weit der klare Befund. Über die Gründe, wieso Kinder weniger glücklich machen als bisher gedacht, ist wenig bekannt. Auch unter Eltern scheint das Thema tabu zu sein. «Wer gesteht, dass es im Alltag durchaus Tage gibt, an denen man den minutiös geplanten Schritt, ein Kind in die Welt zu setzen, am liebsten rückgängig machen möchte, steht schnell schlecht da», sagt Nicole Althaus, Begründerin des «Mamablog» und heute Chefredaktorin der Zeitschrift «Wir Eltern». Bei allen anderen Ereignissen, die das Leben radikal veränderten, würden Umstellungsschwierigkeiten als normal betrachtet. «Aber Mütter und Väter, deren Existenz auf den Kopf gestellt wird, müssen permanent so tun, als triefe ihnen das Glück aus allen Poren.»
Die Mutter von zwei Mädchen sagt, das führe zu so dämlichen Aussagen wie «Ich habe wegen der Geburt zwar einen Hängebauch, aber den liebe ich, weil er Leben geboren hat». Das sei, so Nicole Althaus, «totaler Quatsch». Eine Blinddarmnarbe finde man auch nicht toll, nur weil sie einen daran erinnere, dass man von Bauchschmerzen erlöst worden sei. Nur wenn die Schattenseiten der neuen Rolle offen ausgesprochen würden, könne dem grassierenden Heils- und Glückswahn der Boden entzogen werden. In den USA lästern Mütter bereits heute ungeniert über den Belastungsfaktor Kind. Auf dem Webportal Badmommyconfessions.blogspot.com beichten «schlechte Mütter», wie sie sich selbst nennen, ihre haarsträubenden Fantasien («Man sollte Drogen und Alkohol in sie hineinschütten»). Jeder zweite Kommentar ist von den beiden Bemerkungen begleitet: «Es ist eine riesige Erleichterung, solche Dinge endlich aussprechen zu dürfen» und «Ich liebe meine Kinder trotzdem über alles».
Den in den USA oft gehörten Spruch «Ich liebe meine Kinder. Ich hasse mein Leben» bringen in Europa die wenigsten über die Lippen. Julia Heilmann und Thomas Lindemann haben damit kein Problem. Die Verwandlung ihrer Existenz, die mit der Geburt der beiden Söhne eine drastische Wende erfuhr, haben die beiden im viel beachteten Buch «Kinderkacke. Das ehrliche Elternbuch» wie folgt beschrieben: «Das Sexleben liegt darnieder. Die Schwiegereltern nerven. Das Geld ist knapp. Die Freunde melden sich nicht mehr.» Die beiden sprechen von einem inneren und einem äusseren Kampf, den sie im Spannungsfeld von «Lärm, Dreck, Übermüdung, Liebe, Hass sowie einer neuen Position innerhalb der Gesellschaft» führen, und kreieren dabei so witzige Begriffe wie Stilldemenz und Elternparanoia.
Die Elternschaft sei von völlig falschen Erwartungen geprägt, findet der 38-jährige Thomas Lindemann, der als Feuilletonredaktor bei der deutschen Zeitung «Die Welt» arbeitet. «Die flauschigen, braven Kinder mit ihren cool aussehenden Karriereeltern sind in der Werbung, in Kino und Fernsehen omnipräsent», sagt Lindemann. «Tausende Erziehungsbücher signalisieren, dass fähige Eltern jedes Problem lösen können: Das ist alles Lug und Trug.» In Wahrheit sei für Eitelkeit und Zweisamkeit kein Platz mehr, das Ego pulverisiert, die Freiheit passé. Vom Berufsleben gar nicht zu sprechen. Weil er ein guter Vater und Partner sein möchte, habe er sein Arbeitspensum halbiert. «Die Folge ist, dass mich in der Redaktion keiner mehr ernst nimmt.» Als Mann werde man unsichtbar, wenn man nicht voll auf die Karriere setze. Die meisten Kollegen nähmen zwei Monate Elternzeit, so Lindemann. «Aber ernsthaft an der Erziehung teilnehmen, dem ganzen nervigen Alltag? So blöd bin nur ich.»
Seine Frau, einst ambitionierte Leiterin einer Kunstbuchhandlung, fragt: «Wer bin ich, und wenn ja, warum nur Mutter?» Monatelang habe sie sich fast ausschliesslich in Brabbelsprache unterhalten, dann sei es ihr zu dumm geworden, weshalb sie heute – «wenn ich nicht gerade Mann oder Kinder anschreie» – mehrheitlich schweige. «Ich fühle mich nicht nur uninteressant und humorlos: Ich bin es auch geworden.»
Geistig erlahmt und körperlich ermüdet: Das Dasein als «Wirtstier», wie seine Frau sich mittlerweile selbst bezeichne, stehe am Ursprung des Niedergangs der Erotik, so Thomas Lindemann. «Es fing im Geburtsvorbereitungskurs an», erinnert er sich. «Dort präsentierte man uns eine gestrickte Gebärmutter aus pinkfarbener Wolle: Sie sah wie ein Ungeheuer aus.» Im Verlauf der Zeit würden auch jene Körperbereiche, die man einst als erogene Zonen bezeichnete, banalisiert. «Sie haben einfach nichts mehr mit Sex zu tun.» Als Vater und Ehemann kämpfe er öfter gegen das Bedürfnis an, einfach wegzulaufen und nie wieder zurückzukehren.
Dass die mutigen Enthüllungen des jungen Paars Balsam auf die Seele vieler still vor sich hin leidender Mütter und Väter sind, lässt der Erfolg ihres Werks erahnen. Letztes Jahr erschienen, wurde «Kinderkacke. Das ehrliche Elternbuch» bereits 80 000-mal verkauft.
Für manche Leserinnen und Leser sind solche Mütter und Väter allerdings eine Provokation. Ein Artikel im «New York Magazine», der die negativen Konsequenzen von Kindern auf das Selbstverständnis und den Alltag ihrer Eltern thematisierte («All Joy and No Fun»), hatte mehrere Hundert Zuschriften zur Folge. Während die einen die zitierten Eltern für ihre Aufrichtigkeit lobten, schimpften sie andere wehleidig und weltfremd. «Kauft euch das nächste Mal eine Katze, die verursacht weniger Arbeit», schrieb Becky aus New Jersey. «Schon mal etwas von einer Nanny gehört?», fragte Jonathan aus Chicago. Jene, die bereits erwachsene Kinder haben, manchmal vier, sechs oder acht, meldeten sich ebenfalls zahlreich zu Wort. Grundtenor: Es spreche nicht für die heutige Generation, wenn ein bisschen Selbstaufgabe direkt in die Krise führe.
«Die Frage, ob Nachwuchs die Eltern glücklich macht, hätte vor fünfzig Jahren niemand gestellt», sagt auch die Zürcher Psychotherapeutin Anna Sieber-Ratti. «Man sah “Als Vater und Ehemann kämpfe ich oft gegen das Bedürfnis an, wegzulaufen und nie wieder zurückzukehren”das Kinderkriegen eher als Pflichterfüllung an, als natürliche Gegebenheit.» Damals wurde der Nachwuchs in den Alltag integriert, und die Lektüre eines einzigen Erziehungsbuchs reichte aus, damit man auf dem allgemeingültigen Stand der Dinge war. Die Pädagogen proklamierten Regeln, die auch die Eltern entlasteten: Gehorsamkeit, Ordentlichkeit und Ruhe.
Heute wird die Kindheit als privilegierte, beschützte Zeit gesehen, zu der die Stärkung der Autonomie und eine erstklassige Ausbildung gehören. Die Kleinen müssen geformt, angespornt und stimuliert werden. Das kostet Nerven, Geld, vor allem aber viel Zeit. 71 Prozent der Befragten gaben in einer amerikanischen Untersuchung an, pro Woche weniger als sechs Stunden Zeit für sich selbst zur Verfügung zu haben, und alle wünschten sich, es wäre mehr. Gleichzeitig litten 85 Prozent der Befragten unter dem Gefühl, zu wenig Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.
«Die heutigen Mütter und Väter sind sehr engagiert. Im Zusammenhang mit ihrer Elternrolle haben sie aber auch grössere Erwartungen», beobachtet Anna Sieber-Ratti. Die Verbindung vieler Ansprüche, darunter Karriere, Selbstverwirklichung, Liebe und Familie, entspreche einem Idealbild, das nur schwer zu erreichen sei. Schlimmer: Die Wünsche stünden bisweilen im Widerspruch zueinander, die Identitätskrise sei quasi programmiert. Die Evolutionspsychologen formulieren es so: Fortpflanzung entspricht weiterhin einem wichtigen menschlichen Bedürfnis. Gleichzeitig kollidiert das Aufziehen eines Kindes mit anderen Bedürfnissen, die heute einen hohen Stellenwert geniessen.
Im Praxisalltag erlebt Anna Sieber-Ratti immer wieder hilfesuchende Eltern, die sich bereits durch ganz profane Herausforderungen unter Druck gesetzt fühlen. «Wir leben in einer dermassen kopflastigen Gesellschaft, dass selbst das Zukleben einer Wegwerfwindel zum Problem werden kann», so Anna Sieber-Ratti.
Man wisse, wie Photoshop und Fernbedienungen funktionieren, aber die Milch auf dem Herd zu erwärmen, habe man nie gelernt, bestätigt Giuseppina Tagliaferri-Visconti. Sie war keine Gotte, keine Tante, alle urbanen Freundinnen waren ebenso jung wie sie selbst, jedoch kinderlos, als sie vor acht Jahren zum ersten Mal Mutter wurde. Wo sich der nächste Spielplatz befindet, wie man einen Kinderwagen zusammenklappt, hat sie nicht gewusst. «Aufgrund meiner Unbeholfenheit dauerte alles dreimal so lang, das Leben mit dem Baby wurde zum Frondienst.»
Tochter Anna ist heute acht Jahre alt, ihr kleiner Bruder Luis vier. Das anfängliche Befremden über Snugly und Buggy ist mittlerweile einem Lebensgefühl gewichen, das auch andere Eltern zur Genüge kennen: dem Diktat der Vernunft. «Ein grässliches Wort», sagt Giuseppina Tagliaferri-Visconti. Vernunft, findet die 36-Jährige, ist das Gegenteil all der jugendlichen Eigenschaften, die einst so wichtig waren: Spass, Spontaneität, Abenteuerlust. Aus Vernunft kremple man zuerst die Inneneinrichtung um und dann den Lifestyle: Die Wohnung gleiche immer mehr einer Spielburg, das Ehebett verkomme zu einem Tummelplatz für die ganze Familie, die Kleidung müsse weniger schön als wasserfest sein.
Anstatt Ausschlafen und Prosecco-Brunch gehe es heute am Sonntagmorgen in den Wald, damit die Kinder den Umgang mit der Natur kennen lernen. Um Nachhaltigkeit sei man ebenfalls bemüht, der Abfall werde strikt getrennt und gemeinsam entsorgt, und im Sinne einer gelebten Bescheidenheit gäbe es zuhause nur noch Hahnenwasser zu trinken. Spätestens nach dem zweiten Kind entrümple sich das Hirn ganz allein von allen Flausen. Man werde konservativer. Zum Wohl der Kinder. «Ansichten, die ich früher für intolerant gehalten habe, leuchten mir heute ein.»
Wenn ihnen vor fünf Jahren jemand prophezeit hätte, dass sie bald ein Leben als öde Otto Normalverbraucher fristen, hätten sie die Person für verrückt erklärt, sagt auch Julia Heilmann. «Seit die Kinder da sind», ergänzt ihr Mann, «befassen sich meine Frau und ich viel zu oft mit Dingen, die uns absolut nicht interessieren: Rentenversicherungen, Hauskauf, hässliche Familienkarossen. Das zehrt total am progressiven Selbstbewusstsein.» Diese Krise gehe allerdings vorüber: «Irgendwann akzeptiert man, dass einen die Kids zu stockbiederen Bürgern gemacht haben, die um 21 Uhr zu Bett gehen und Untersetzer unter die Gläser stellen.»
Viola Tami hat ebenfalls zwei kleine Söhne. «Mein Ego stand lange Zeit auf den ersten drei Plätzen der Prioritätenliste. Aber im Verlauf der vergangenen vier Jahre ist es mir abhandengekommen. Genauso wie die Auseinandersetzung mit mir selbst.» Wie fühle ich mich am Morgen, wie am Mittag und wie am Abend? Was könnte alles aus mir werden? Müssen die Zehennägel neu lackiert werden? «Früher war alles sehr unbeschwert.» Ihr Leben vor der Familiengründung beschreibt die 29-Jährige Schauspielerin und Moderatorin so: «Arbeiten, Reisen, Weiterbildung.» Heute: «Babyschwimmen, Kinderzirkus Robinson, Spielparadies.»
Wenn sie einmal pro Monat ihre alten Freundinnen treffe, würden diese um Mitternacht den dritten Korken knallen lassen. Sie blicke besorgt auf die Uhr und denke an den nächsten Morgen: «Um sieben muss ich mit dem Hund raus, dann die Kleinen füttern und anziehen.» Zum Zeitpunkt, als sie früher aus dem Ausgang zurückgekehrt sei, breche sie heute in den Zoo auf. «Dort haben wir jetzt ein Jahresabo. Fragen Sie mich alles über die Entwicklung von Jungtieren: Ich weiss es.»
Trotzdem: Die Babypfunde trainierte sie in Rekordtempo weg, die blonden Haare fallen glänzend über die Schultern, der Teint ist makellos. Sie sieht nicht wie eine sich vernachlässigende Frau aus. Mütter blieben nun mal Frauen. Allerdings werde heute nicht mehr nur das Äussere registriert: Kocht sie auch mit Bio-Lebensmitteln? Wie hübsch sind ihre Kinder angezogen? Wie perfekt ist die Wohnung aufgeräumt, wie toll ist die Beziehung? Sie hinterfrage diesen seltsamen Wettbewerb, stecke aber selbst mittendrin: «Früher konnte ich mich frei entscheiden, wo ich dazugehören will. Heute bewege ich mich automatisch dort, wo es Kinder, Mütter und Väter gibt.»
Die Entschleunigung des Alltags sei eine Herausforderung, die unruhig machen könne, findet Corinne Schacher Ehrat. Ihr älterer Sohn ist drei Jahre alt, der zweite 18 Monate. Bis Mitte dreissig war die Akademikerin voll berufstätig. Gewohnt, ein straffes Tagesprogramm zu erledigen und Probleme strategisch anzugehen, herrsche in ihrem aktuellen Alltag manchmal Chaos und ein anstrengendes Schneckentempo. «Es ist unmöglich, auf den Spielplatz und noch schnell zum Einkaufen zu gehen, weil die Kleinen auf dem Weg jeden Kiesel, jedes Blättlein untersuchen, die Jacke ausziehen, die Jacke anziehen, noch schnell beim Brunnen vorbeigehen wollen, eine Kastanie entdecken, Durst haben, Hunger haben, auf die Toilette müssen …»
Das Wissen, dass das Kleinkindalter etwas Vorübergehendes ist, sei für sie eine Entlastung. Bald war der Wunsch da, in den Job zurückzukehren. Kinder zu betreuen, sei mit einem Berufsalltag nicht zu vergleichen, hat die 37-Jährige erkannt. Welcher Bürokollege würde sich schon brüllend zu Boden werfen, wenn ihm etwas nicht passe? Eine Mittagspause mit Arbeitskollegen empfinde sie heute als unglaublich entspannend. «Weil dann essen nichts mit kochen, Brei pürieren, Lätzli umbinden und anschliessendem Saubermachen zu tun hat.»
Die grossen Glücksmomente mit den Kindern, so sind sich alle befragten Mütter und Väter einig, seien nicht immer erwähnenswert. «Aus diesem Grund fallen sie wissenschaftlich vielleicht nicht ins Gewicht», mutmasst Corinne Schacher Ehrat. Trotzdem seien sie da, jeden Tag: eine Umarmung, eine neue Formulierung, Freudengeheul beim Wiedersehen am Abend. Thomas Lindemann formuliert es so: «Es gibt nur eine Sache, die blöder ist, als Kinder zu haben: keine Kinder zu haben.»
Julia Heilmann und Thomas Lindemann: Kinderkacke. Das ehrliche Elternbuch. Verlag Hoffmann und Campe, 221 Seiten, ca. 26 Franken