Body & Soul
Einmal Jenseits retour – Wenn beide Eltern im Spital liegen
- Text: Anna PalatinaIllustrationen: Shout
Die Mutter liegt im Spital, kurz darauf hat der Vater einen schweren Hirnschlag. Eine emotionale Zerreissprobe für die Kinder – denn der ältesten Tochter hat er eine Patientenverfügung anvertraut. Ihr Protokoll.
Die Mutter liegt im Spital, kurz darauf hat der Vater einen schweren Hirnschlag. Eine emotionale Zerreissprobe für die Kinder – denn der ältesten Tochter hat er eine Patientenverfügung anvertraut. Ihr Protokoll.
Kalter Januar. Nach einem langen Arbeitstag stehe ich müde vor der Haustür und wühle in meiner Tasche nach dem Wohnungsschlüssel. Das Handy blinkt. Ein Anruf meiner Schwester Y. Ich ahne nichts Gutes, als ich ihre Stimme höre: «Papa hatte einen Hirnschlag, er liegt auf der Notfallstation. Es sieht schlecht aus.»
Er lag wohl den ganzen Tag in der Wohnung. Neben seinem Bett. Im Pyjama. Später wird Mutter sagen, zum Glück neben der Heizung, da musste er wenigstens nicht frieren. Ich versuche, meine Schwester G. telefonisch zu erreichen. Wenn uns das Leben herausfordert, wählen wir gegenseitig immer zuerst unsere Nummern. Keine Antwort. Wir sind fünf Geschwister, vier Schwestern und ein Bruder. Die beiden Jüngsten sind schon im Krankenhaus. Eine bei Vater, eine bei Mutter. Sie liegt bereits seit zehn Tagen im selben Spital, zwei Stockwerke weiter oben.
«Mama wird nicht sterben», beruhigte ich meinen Vater, der mich damals verzweifelt anrief. Aber sie war sehr schwach, niemand konnte eine klare Diagnose stellen. Nach zwei Tagen hiess es, sie hätte eine Infektion auf der vor kurzem operierten Herzklappe, und sie müsse sechs Wochen im Spital bleiben. Dies, nachdem sie noch am Vortag den alljährlichen Familienbrief abgeschickt hatte: «Das neue Jahr wird sicher ein besseres, endlich habe ich keine Schmerzen mehr.» Alles schien gut, nachdem sie in den letzten zwei Jahren oft gelitten hatte. Vier Knieoperationen, ein operiertes Aneurysma. Eine neue Herzklappe.
Nun lag sie im Krankenhaus. Unser Vater besuchte sie täglich. Brachte Fröhlichkeit mit, die alle gern annahmen. Das Pflegepersonal schien ihn zu mögen. Und Mutter war eine unkomplizierte Patientin. Vater und sie lasen und spielten zusammen Karten. Manchmal schlief er im Sessel ein bisschen, und sie schnarchte leise im Bett.
77 ist er vor ein paar Tagen geworden.
Aber an diesem Tag kam er nicht zu Besuch. Also rief Mutter meine Schwester E. an, die in der Nähe wohnt, und bat sie, in der Wohnung nachzuschauen. Es passte nicht zu Vater, einfach wegzubleiben.
Der Schlüssel steckte von innen. E., die Zweitjüngste, versuchte, über den Balkon einzusteigen. Erfolglos. Dann mit den Nachbarn ratlos im Treppenhaus, irgendwann der Anruf bei der Polizei. Diese fuhr in den Nachbarort. Ein Versehen. Nach eineinhalb Stunden kamen sie, brachen die Tür auf. Vater schaute sie an. E. telefonierte Mutter ins Spital: «Er lebt.»
Dann die ersten Stunden im Notfall und die Kunde, dass es schlecht um ihn steht. Er war wohl schon sehr lange am Boden gelegen. Bei einem Hirnschlag zählen die Minuten. Vielleicht war es schon in der Nacht geschehen. Die Blutung im Stammhirn ist über zehn Zentimeter lang. Er kann nicht mehr sprechen, ist rechtsseitig gelähmt. Hat Schmerzen. Also viele Medikamente und viel Ruhe. Von einer Operation rät man uns ab. Er würde es wohl nicht überleben. 77 ist er vor ein paar Tagen geworden.
Mutter lässt sich im Rollstuhl an sein Bett fahren. Schwach, gezeichnet. Er scheint sie zu erkennen. Als sie sich über ihn beugt, kann man, mit ein wenig gutem Willen, ein Lächeln auf seinem Gesicht erahnen.
22.38 Uhr, SMS: «Lieber Papa, du schaffst es, wir lieben und umarmen dich und schicken so viel Liebe, dass du wieder gesund wirst. Deine A. und P.»
22.40, SMS: Y. an alle: «Ich fahr nochmals ins Spital, bleibe über Nacht. Wer übernimmt morgen?»
22.45, SMS: A. an alle: «Gut, aber wir müssen morgen darüber reden, ob es Sinn macht, diese Betreuung rund um die Uhr.»
4.00, SMS: Y. an alle: «Papa hatte eine schwere Nacht, Mama geht es nicht gut.»
5.50, SMS: A. an alle: «Also gut, ich kann um acht Uhr dort sein, nehme den Zug um sieben.»
6.46, E-Mail: A. an Herrn R.: «Sehr geehrter Herr R. Ich muss den Termin von heute absagen. Bin auf dem Weg ins Krankenhaus, mein Vater liegt vielleicht im Sterben.»
7.20, E-Mail: Herr R. an A.: «Kein Problem. Wünsche Ihnen viel Kraft. Und alles Gute. Freundliche Grüsse.»
20:37, SMS: Freundin H. an alle: «Wir drücken euch so die Daumen, dass alles gut geht, und viel gute Energie von mir. Lieber Gruss H.»
Wir Geschwister sprechen uns ab, wer wen benachrichtigt. Nur die nächsten Verwandten und Freundinnen und Freunde, vorläufig. Niemand weiss, wie lange es noch gehen wird. Vater hat keinen Schluckreflex. Er wird intravenös mit Flüssigkeit und Medikamenten versorgt. Er sieht angespannt aus. Atmet schwer. Hat schlimme Krämpfe. Nach zwei Tagen wird er in ein Zweierzimmer verlegt. Im Bett neben ihm liegt unsere Mutter. Sie hatten Glück, beide sind nur allgemein versichert. Aber das Personal ist sehr entgegenkommend.
Ein Stuhl steht zwischen den Betten. Überall Schläuche. Wenn ich die Arme ausstrecke, erreiche ich von beiden Eltern eine Hand. So verbringen wir fünf Geschwister abwechslungsweise Tage und Nächte mit ihnen. Ich bin froh, kein Einzelkind zu sein. Wir fünf sind zwar sehr verschieden, aber noch sind wir uns einig. Es fühlt sich gut an, dass alle ihr Eigenes zurücknehmen und das Gemeinsame, die Sorge um unsere Eltern, uns eint.
Zuhause suche ich in der Schublade Papas Patientenverfügung. Er hat sie mir damals vertrauensvoll übergeben. «Du bist die Älteste, wir haben ja schon oft darüber gesprochen.»
«Ich will nicht um jeden Preis weiterleben»
Das hatten wir wohl. Und ich empfand es immer als Erleichterung, über alles reden zu können. Aber was nützt das jetzt? Kann man den Ernstfall präventiv klären? Er wollte keine lebenserhaltenden Massnahmen. Er, der Aktive, Sportliche. Der immer unterwegs sein musste in der Natur. Psychohygiene nannte er das. Jetzt liegt er da. Hilflos. Wird alle vier Stunden gedreht. Trägt Windeln. Nur den linken Arm bewegt er. Sucht immer eine Hand, die ihn streichelt. «Ich will nicht um jeden Preis weiterleben; wenn die Mediziner das nicht akzeptieren, dann zieh bitte den Stecker raus.» Darum bat er mich. Und ich flehte ihn an, das nicht von mir zu verlangen. Ihn quasi aktiv ins Jenseits zu befördern. Wie sollte ich mit dieser Verantwortung leben? «Du wirst das richtig machen», war seine Antwort.
Nichts weiss ich.
Ich sitze an seinem Bett. Wenn Mutter mit ihrem Medikamentenständer sich mühsam zur Toilette schleppt, flüstere ich ihm ins Ohr: «Papa, es gibt keinen Stecker. Ich kann nichts tun, du musst selbst entscheiden.»
Es ist ein jämmerliches Bild. Aber seine Hand ist aktiv. Warm. Das fühlt sich gut an.
Er scheint uns zu erkennen. Strahlt, wenn seine Kinder, Enkel oder seine Freunde oder die aus dem Ausland angereisten Brüder sich über ihn beugen. Wenn jemand anruft, halten wir ihm den Hörer ans Ohr in der Hoffnung, dass etwas von den aufmunternden Worten in sein Hirn dringt. Manchmal schaut er verärgert. Mama hält stundenlang seine Hand. Sie wünscht sich, dass immer eines ihrer Kinder über Nacht bleibt. Wir sind alle berufstätig. Drei von uns haben selber Kinder. Zwei einen langen Anfahrtsweg. Aber wir schaffen das. Irgendwie.
22.47 Uhr, E-Mail: Y. an alle: «Hier die Besuchsliste für die Oldies.» (Oldies, so nennen wir unsere Eltern schon seit einigen Jahren.)
10.50, SMS: Freundin P.: «Bin grad sehr traurig wegen deinem Vater, wie gehts dir, mein Herz?»
18.48, SMS: G.: «Liebe E., bin grad aus dem Spital raus, übernehme morgen wieder von Y. Wann kommst du denn für die Nacht?»
Das Pflegepersonal bemüht sich sehr. Wir können kommen und gehen, wann wir wollen. Salbe einreiben. Kämmen. Die Reihe der Besucher wird länger. Wir beschliessen, dass sie sich anmelden müssen, und Mutter entscheidet, wer kommen darf. Viele kommen, um Abschied zu nehmen.
G. richtet im Internet das «Reisebüro für die letzte Reise» ein. Alle sollen Ideen hineinschreiben, wie wir den Abschied gestalten wollen. Die Prognosen sind schlecht. Aber ich muss so lachen. Ihr Pragmatismus ist wohltuend. Insgeheim hoffen wir alle auf ein Wunder. Kann doch nicht sein, dass er jetzt geht. Immer hatten wir Angst vor diesem Moment. Und doch ist es jetzt so anders. So viele Fragen. Was wünscht er sich? Was wollen nur wir, weil wir nicht loslassen können? Was ist richtig? Oje. Ich bräuchte ihn jetzt dringend.
19.25 Uhr, E-Mail: A: «Liebe alle, irgendwie hab ich ein Unbehagen punkto Infos der Ärzte zum Zustand unseres Vaters. Was beispielsweise die Ernährung über den Tropf angeht, ist mir nicht klar, ob so einfach alles seinen Lauf nimmt und er uns durch Entkräftung entschwinden soll. Auch hab ich nicht richtig gecheckt, ob wir jetzt noch Therapien verlangen müssten. Habe den Eindruck, Mama vergisst fortwährend alle Infos. Kein Wunder. Soll ich Termin mit Arzt verlangen?»
0.07, SMS: Y.: «Wer macht Nachtwache? Habs vergessen.»
10.00, SMS: E.: «Ich hab ihm ein bisschen Kaffee geben können.»
Eigentlich sollten wir uns darüber freuen. Aber wir diskutieren endlos. Die Prognosen geben wenig Hoffnung. Er wird ein Pflegefall bleiben, sagen die Ärzte. Dürfen wir alles versuchen, um ihn am Leben zu erhalten? Gegen seinen Willen. Auch wenn dieses Leben nur ein Existieren ist in unseren Augen? Wir sind dazu erzogen worden, nie aufzugeben. Aber geben wir ihn auf? Oder ist just dies: Würde? Liebe? Dürfen wir Vater verdursten lassen? Hier wird Mutter deutlich: «Ich will doch nicht zur Mörderin werden.» Ich schaue ihn an, wie er daliegt, und denke: Er ist doch schon längst fort.
Wir ringen um Antworten. Versuchen, unsere Bedürfnisse und seine auseinanderzuhalten. Für Mutter wird sich am meisten ändern. Wir wollen ihre Meinung stärker gewichten.
Später im Spital. Vater wirkt durchlässiger. Schaut ein bisschen verklärt, auf eine Art wissend. Aber auch traurig. Er streichelt intensiv, aber mechanisch die Hand, den Arm. Fährt mir übers Gesicht, über meine Tränen.
Füsse massieren. Keine Ahnung, ob es ihm gefällt. So viele Fragen. Ein Bein ist gelähmt. Massiere es trotzdem.
Wir sind angespannt, streiten nicht offen.
Mutters Zustand verbessert sich. Ich gehe mit ihr durch die Krankenhausgänge. Wir sprechen über eine mögliche Beerdigung. Er wolle nicht kremiert werden, sagt sie. Aber auch, dass er das vielleicht nur ihretwegen erwähnt habe, weil sie doch so gern ein Grab hätte. Einen Ort, wo sie hingehen könnte. Jetzt mache sie sich Sorgen, dass sie vielleicht gar nicht an eine Beerdigung gehen könnte. Dann wieder lachen wir. Ach was, er wird nicht sterben! Dann wieder: Kremieren wäre doch praktischer. Oder im Fluss verstreuen?
Besprechung mit dem diensthabenden Arzt. Wir sitzen alle in einer Ecke des Krankenhausgangs. Hinter einer verdorrten Zimmerpflanze. Ein wenig Privatheit an diesem unwirtlichen Ort, der uns allen gerade ein bisschen Heimat ist. Am Tag und in der Nacht. Der Arzt ist zurückhaltend. Wir fragen viel. Mutter sagt nichts, sitzt klein auf ihrem Stuhl. Die starke Frau. Die Mutter, die nie krank war und so viel Platz unter ihren Flügeln hatte. Sie ist alt geworden, in kurzer Zeit. Nie hätte ich gedacht, dass sich das schon Wochen später ändern könnte. Aber davon weiss noch niemand etwas.
Wir sitzen mit ihr im Kreis. Fünf gesunde, engagierte Menschen zwischen Ende dreissig und Ende vierzig. Der Arzt motiviert uns, nichts mehr zu tun. Die Flüssigkeit so zu vermindern, dass er langsam hinübergleitet. Wir tragen diesen Entscheid mit. Alle. Auch Mama. Unter Tränen. «Aber jetzt ist er doch noch warm und atmet.»
Ich bleibe über Nacht. Die anderen gehen zu E. zum Nachtessen. Ich geniesse die Ruhe. Mama teilt Papa mit, was wir entschieden haben. Ich kann keine Reaktion erkennen. Sie ist unglaublich tapfer.
Links und rechts eine Hand, kurze Momente, in denen es aus beiden Betten schnarcht. Ich schlafe kaum, ein ziemlicher Betrieb, nachts in einem Krankenzimmer. Vater scheint Schmerzen zu haben. Er bekommt Morphium. Lächelt kurz, dämmert wieder weg.
Am frühen Morgen direkt zur Arbeit. Wie lange halte ich das durch?
Am Nachmittag ruft G. an, entsetzt. «Sie haben ihm Joghurt gegeben.» Als sie von der Cafeteria zurückkam, sass ein Pfleger am Bettrand von Vater und löffelte ihm Joghurt in den Mund. Mutter sass auf ihrem Bett und strahlte. G. sagte dem Pfleger ziemlich forsch, das sei so nicht abgemacht. Der Pfleger meinte, er sei da zum Lebenerhalten – und löffelte weiter. G. war konsterniert. Papas Schluckreflex war zurück, unsere Entscheidung war somit hinfällig geworden. Und wir komplett überfordert. Eigentlich sollten wir uns freuen.
Unser Bruder versucht, eine Konferenz mit dem Arzt einzuberufen. Das geht nicht so schnell, bis dahin wird Papa gefüttert. Nur flüssig. Noch immer sprachlos, noch immer halbseitig gelähmt liegt er da. Ein gefällter Baum. Die rechte Hand geschwollen, wie ein Fremdkörper auf dem Leintuch. Das Gesicht eingefallen. Aber braun gebrannt. Das trennt ihn von dem Toten, der er vielleicht bald sein wird, denke ich. Er ergreift meine Hand. Ich weine wieder. Auch er weint. Was bedeuten seine Tränen? Hilf mir, ich will so nicht mehr sein? Oder freut er sich?
Die Harmonie unter uns Geschwistern ist dahin. Alle sind total erledigt. Die beiden jüngsten Schwestern sind, wie Mutter, der Meinung, jetzt holen wir ihn zurück. Mit allen Mitteln. Egal, wie stark seine Behinderungen sein würden. Also Therapie und das ganze Rösslispiel.
Der Bruder weiss nicht, was er denken soll. Er leidet und wankt. Meine mir im Herzen nächste Schwester und ich sind überzeugt, nicht egoistisch handeln zu dürfen. Nur weil wir nicht loslassen wollen. Er hat uns so oft gesagt, dass er so niemals weiterleben wolle. Wenn wir ihn ernst nehmen, müssen wir ihn ziehen lassen. Oder nicht?
Wir sind angespannt, streiten nicht offen. Hinter unserem Rücken empören sich die Jüngeren, dass wir Älteren den Vater einfach abserbeln lassen würden. Ich kann sie verstehen. Es ist zum Verzweifeln. Wir lassen Mutter entscheiden. Sie will, dass er bleibt. Also bleibt er.
Dann: Das Wunder bahnt sich an. Fast täglich macht er Fortschritte. Immer neue SMS gehen hin und her. Jede Zuckung wird notiert, kommentiert, gefeiert.
Die Bushaltestellen vom Bahnhof zum Spital kenne ich alle auswendig.
Noch ist es ein weiter Weg, aber er macht vorwärts.
Eines Morgens komme ich in sein Zimmer. Er sagt: «Setz dich zu mir.» Ich falle fast in Ohnmacht: «Du sprichst.» Wir sind im Taumel. Dankbar. Noch ist es ein weiter Weg, aber er macht vorwärts. Er will. Medizinisch ist er eine grosse Ausnahme, sagen die Ärzte. Ich bin irgendwie misstrauisch.
Auch Mutters Genesung geht nun plötzlich schnell. Sie kann das Krankenhaus nach vier Wochen wieder verlassen. Das Knie bereitet ihr kaum mehr Schmerzen, den Stock legt sie weg. Sie sieht aus wie der blühende Frühling. Täglich besucht sie Vater. Auch wir Kinder, Schwiegersöhne, Schwiegertochter, Enkel und seine Freunde. Alle strahlen, wenn sie von Vater erzählen. Meine Schwester G. schliesst das Reisebüro wieder.
Papa fragt: «Was ist passiert, als ich weg war?» Erinnern kann er sich an nichts.
Seine rechte Körperhälfte wacht wieder auf. Er bewegt den Arm, das Bein. Lernt wieder zu gehen. Sobald er die Treppen steigen kann, darf er nachhause. Nach ein paar Wochen ist es so weit.
Die Situation bleibt fragil. Fiele die Mutter aus, rückte für Vater das Pflegeheim wieder näher. Beweglichkeit, Denken, Sprache – sein Leben: alles wieder zurück. Aber er ist ein anderer geworden. Er ermüdet schnell. Manchmal geniert er sich, wenn er sich nicht so schnell artikulieren kann, wie er möchte. Oft fehlt ihm die Freude. «Ich spüre sie einfach nicht», sagt er dann.
Aber sie können auch lachen. Es ist wohl die Gelassenheit, die es nicht zu verlieren gilt. Das Versehrte akzeptieren. Nicht hadern. Eines Abends erzähle ich Vater von der schwierigen Entscheidung. Wie wir uns gestritten haben und warum ich ihn sterben lassen wollte. Wir weinen. Nach langem Schweigen sagt er: «Das hast du gut gemacht.»