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Eine Hommage an eine Putzfrau – Von einer, die reiner machte

Body & Soul

Eine Hommage an eine Putzfrau – Von einer, die reiner machte

  • Text: Max UrlacherIllustration: Carmen Segovia

Putzfrauen gibts viele tolle. Aber keine ist wie Putzi! Der Berliner Schauspieler und Autor Max Urlacher hat seiner Perle eine Liebeserklärung gewidmet.

Die richtige Perle zu finden, ist wie ein Sechser im Lotto. Lange habe ich nach ihr gesucht, bis ich das Glück hatte, auf Marianne Schneider zu treffen.

Putzi, wie ich sie nenne, wurde mir von meiner Kollegin Franka Potente empfohlen, die sie wiederum von Matt Damon übernommen hatte: «She is a hell of putzlady.» Das wollte mich nicht sonderlich beeindrucken. Was sollte ausgerechnet ich mit einer Promi-Putze? Aber meine letzte Putzhilfe, Ilonka aus Weissrussland, erwartete ein Kind und hatte mir als Ersatz ihren Bruder Sergei vorbeigeschickt. Bei unserem ersten Treffen fragte mich Sergei, ob ich das Arschloch sei, das seine Schwester geschwängert hätte, beim nächsten Mal brachte er einen Kumpel mit, der seinen Rucksack voll mit Nummernschildern bei mir stehen liess. Ich rief Putzi an: «Man hat Sie mir als weltbeste Haushaltshilfe angepriesen!»

«Man macht halt das Beste aus dem, was Gott einem mitgegeben hat. Und ich habe nun mal einen Röntgenblick für Staub, Flecken und Unrat. Ich sehe auch gleich, ob jemand falsche Zähne hat oder ein Toupet.»
«Meine Wohnung ist unkompliziert. Sparsam möbliert. Bedarf also nur einer regelmässigen Grundreinigung.»
«Erst einmal müssen wir uns kennen lernen, dann sehe ich, ob Sie mir überhaupt sympathisch sind. Ich arbeite nur für Leute, die ich mag. Kommen Sie morgen um 16 Uhr bei mir vorbei. Und seien Sie pünktlich!»

Unglücklicherweise verspätete ich mich um fünf Minuten. «Ich habe mich schon wieder ausgezogen», rief Putzi durch die Wohnungstür. Ihr Vorwurf klang wie eine freundliche Ohrfeige, «einen Moment!». Und dann stand ich ihr gegenüber und war sehr verlegen. Sie füllte die ganze Tür aus. Gewaltig und gutmütig wie eine Marianne Sägebrecht in rustikal. Mit schwarzen Leggins und weitem Shirt, mit pinkem Frottee-Stirnband und grosser Sophia-Loren-Brille. Sehr retro. Weiche, fleischige Züge und kullerrunde, ausdrucksstarke Augen.

Putzi liest im Schmutz wie die von «CSI» im Müll, um den Mörder zu finden

«Ich hätte mir ein Kleid überziehen können», sagte sie, «ich trage gern Kleider. Aber ich wollte, dass Sie mich so sehen, wie ich arbeite. Nicht, dass Sie später einen Schreck bekommen!» Sie betonte, dass sie nicht bei jedem putze. Sowieso nur bei Junggesellen, nur im Westen von Berlin und in gepflegten Altbauwohnungen in der ersten oder zweiten Etage. «Aber dafür lese ich im Schmutz wie andere im Kaffeesatz oder wie die von ‹CSI› im Müll, um den Mörder zu überführen. Zeigen Sie mir Schmutz, und ich identifiziere Ihnen den Verursacher. Gewisse Arten von Dreck verweisen einfach auf gewisse Typen Mensch.»

Ich versuchte mir Putzi als Forensiker vorzustellen in einer neuen Show, nicht «CSI», sondern «CSP, Crime Scene Putzi».

«Man darf natürlich nicht verallgemeinern», fuhr sie fort, «aber es gibt bestimmte Indizien. Abwaschen ohne abtrocknen, das Bett ungemacht liegen lassen, nur Getränke im Kühlschrank deuten auf …?» Sie blickte mich herausfordernd an, «… na?». Ich zuckte die Schultern. «Junggeselle. Was sonst! Glasreinigersprühflasche und Mikrofasertuch fürs Fenster: eindeutig Wessi! Spiritus und Zeitung: Ossi! Spannteppich in der ganzen Wohnung: über fünfzig!» «Vielleicht sollten Sie damit bei ‹Wetten, dass …?› auftreten?», schlug ich vor. «Gute Idee!» Putzi offerierte Williams. Ich lehnte ab. Dafür servierte sie Kaffee und fragte: «Wollen Sie ein Stück Kuchen?» Sie bückte sich, um die Kühlschranktür zu öffnen. Das Hinunterbeugen fiel ihr schwer. «Brauchen Sie Hilfe?» «Um Gottes willen, nein. Das ist mein Dauerzustand. Kein Problem. Meine Gelenke schmerzen zwar, mein linkes Knie ist kaputt, aber der Motor läuft. Nur die Karosserie rostet.»

Zum Beweis schob sie den Ärmel ihres T-Shirts über die Schulter, winkelte den Arm an, ballte die Hand zur Faust und liess den erschlafften Trizeps träge hin- und herschlenkern. «Früher war ich eine Botero-Figur, üppig, sinnlich und straff, ein Bumbumgeschoss, heute bin ich ein Dumdumgeschoss – nur noch üppig.»

Schwarze Leggins, pinkes Stirnband, Sophia-Loren-Brille. Sehr retro.

Ich überlegte, wie sie bei ihrem Gewicht putzen könnte, ob sie, einmal auf den Knien, auch wieder hochkommen würde und ob man ihr überhaupt zumuten dürfte, auf eine Leiter zu steigen. Als ob sie meine Gedanken erraten hätte, sagte sie: «Keine Sorge. Jahrelanges Training. Ich habe meinen Körper im Griff. Übrigens, ich weiss Ihren Vornamen nicht.» «Max.» «Ich darf Sie doch Max nennen, gell?» «Sicher.» «Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Max.»

Dass sie mich jetzt mit Vornamen anredete und dabei weiterhin siezte, war gewissermassen das Entree für ihre Zugangsbefugnis in mein Leben, denn viel privater, als dass jemand einem die Laken wechselt, könnte es ja nicht werden, dachte ich damals und fragte: «Bin ich Ihnen denn nun sympathisch?» «Na, aber hallo!» Ihr dunkles Lachen brach los, und ich lachte unversehens mit.

Zum Abschied bekam ich einen Kuss. Eigentlich drei. Rechts, links, rechts. «Ich bin vom Bodensee», sagte Putzi, «gleich gegenüber von der Schweiz. Da küsst man dreimal. Also darf ich auch.» Damit schloss sie die Tür.

Wir einigten uns darauf, die Seepferdchen wieder vom Duschvorhang zu entfernen

Es ist allerdings nicht immer ganz einfach mit Putzi. So liebt sie es zu dekorieren und mich mit Selbstgebasteltem zu überraschen. Eines Tages sass ich nichts ahnend auf dem Klo, guckte nach rechts und erschrak, denn ich sah mich unvermittelt mit einem mir völlig unbekannten Duschvorhang konfrontiert – quietschgelb –, dessen Aussenseite mittels Heisskleber mit allerlei Muscheln, Seepferdchen und Glitzersteinen verziert war. Ich bin Purist. Ich hasse Gelb. Ich hasse Duschvorhänge. Und Glitzer erst recht. Natürlich habe ich Putzis Werk gelobt und sie dennoch gebeten, es zu demontieren. «Auf Komfort legen Sie offenbar keinen Wert?» Ich schüttelte den Kopf. «Ich wollte Ihnen doch nur eine Freude machen!» Ich sah, wie sich ihre Augen vor Enttäuschung weiteten. Das zerriss mir fast das Herz, und so einigten wir uns darauf, allein die Muscheln, Seepferdchen und Glitzersteine zu entfernen. Der gelbe Vorhang schmückt noch immer mein Bad.

Ein anderes Mal hatte mir Putzi aus Cheminéeholzschachteln ein Kommödchen für meine Kondome gebastelt und auf meinem Nachttisch platziert, das Innere ausgeschlagen mit Krepppapier, «damit sie trocken lagern», und sobald, was selten genug vorkam, eines zu ersetzen war, übernahm sie das unaufgefordert und stillschweigend. Allerdings kauft sie immer die Günstigen vom Discounter. «Stiftung Warentest sagt, die sind mindestens genauso gut!» Denen traue ich aber nicht, daher habe ich mittlerweile ein eigenes Versteck für meine teuren Qualitätskondome, in meinen Reitstiefeln, und damit Putzi nicht misstrauisch wird, entferne ich von Zeit zu Zeit eines der ihren aus dem Kommödchen, das macht sie dann glücklich, da sie annimmt, ich hätte was für die Seele.

Meine beiden Pornovideos haben jetzt Tarnumschläge, auf denen Louis Trenker zu sehen ist

Ich habe auch zwei Pornovideos: ein Geschenk zum Dreissigsten. Mein Kumpel Guielmo hat mir in mühevoller Kleinstarbeit aus verschiedenen Filmen die besten Dienstmädchen-Szenen zusammengeschnitten, total rührend, Guielmo weiss nämlich über meinen Fetisch um fesche Dienstmädchen Bescheid, der mir, ganz ehrlich, erst jetzt und in diesem Zusammenhang zum ersten Mal als etwas bedenklich aufstösst und der, ich schwöre, mit der tatsächlichen Putzi so wenig zu tun hat wie Goldfische mit Strassenbahn. Jedenfalls hat mir Putzi diese Videos, bei denen ich mittlerweile jeden Stöhner auswendig kann, mit Tarnumschlägen laminiert, auf denen jetzt Louis Trenker zu sehen ist, wie er schneebedeckte Gipfel erklimmt.

Als vor drei Jahren die gesammelten annabelle-Kolumnen der Reihe «Ein Mann, eine Frage» – wofür unzählige Autoren, unter anderem auch ich, ihre Geschichten beigesteuert hatten – als Buch herauskam, stand mein Name nicht auf dem Cover. Das erboste Putzi so sehr, dass ihr ein befreundeter Grafiker Klebebuttons mit meinem Namen entwarf, die alsbald sämtliche Exemplare in Berlin zierten. Putzi nahm die Bücher in den Buchhandlungen von ihren Pyramiden, drückte meinen Namen drauf und stapelte sie zu den Bestsellern, griffbereit in jedermanns Blickfeld, gleich in die Nähe der Kassen.

Auf dem Fenstersims meiner Küche liegt Putzis aufwendig selbst gebundenes Rechnungsheft mit persönlicher Prägung auf dem kartonierten Umschlag. Darin trägt sie akribisch und in Schönschrift den abgerechneten Stundenlohn ein. Das Geld lege ich ihr abgezählt in die Seiten, wie in alten Agentenfilmen, daneben klebt sie dann die Quittungen zu Waschpulver und Putzmitteln. Das Heft enthält auch eine Rubrik namens «Notfallplan für Max, falls ich mal nicht da bin», mit extra auf meine Wohnung zugeschnittenen Putzanweisungen. Daneben sind die Telefonnummern ausgesuchter Bekannter aufgelistet, «zur Überbrückung. Die putzen auch. Mässig zwar, aber besser als nichts. Es ist also für alles gesorgt, Max. Ich komme wieder!»

Wie Chucky, die Mörderpuppe, denke ich mir jedes Mal, wenn ich das lese. Die kommt auch immer wieder.

So organisiert und dirigiert Putzi also mein Leben. Mittlerweile ist sie sogar eine Art Berühmtheit geworden. Mein neues Buch «Die Putzi Diaries» ist ihr gewidmet. Zur Premiere wurde Putzi und ihren Freunden der rote Teppich ausgerollt und eine Fotowand aufgebaut. Wie bei den Oscars. Und der Saal war voll von Kolleginnen. Polnischen, philippinischen, bulgarischen, nigerianischen und deutschen Putzfrauen, die im Anschluss an die Lesung in vergnügter Eintracht zusammensassen – «Heute sind wir alle Putzi» – und sich gegenseitig mit ihren beruflichen Erlebnissen zu überbieten versuchten. «Wenn wir auspacken», rief Monika, Putzfrau aus Tschechien, «dann wackelt die Republik!» Und als ich zu fortgeschrittener Stunde und nach reichlich Alkoholgenuss den Blues bekam und zweifelte, ob unsere Putzi-Geschichten auch unter «literarisch wertvoll» zu verbuchen seien, verhalf mir Putzi mit gewohnt lakonischer Zuversicht zurück auf den Boden der Tatsachen: «Ach Herzchen, nicht verzagen, asozial verkauft sich wie geschnitten Brot, und das Feuilleton steigt voll drauf ein!»

Max Urlacher: Die Putzi Diaries. Droemer-Verlag, ca. 24 Fr.