Gehts um käuflichen Sex, stehen meist die Prostituierten im Fokus – ihre Kunden aber bleiben unbeachtet. Wer sind diese Männer? Was treibt sie in den Saunaclub, zum Escortservice, in die Sexboxen? Ein scharfer Blick auf die Nachfrageseite in einem Milliardengeschäft.
Lindgrüne Fassade, blinde Fenster, Beton. Von aussen ist der Saunaclub Globe in Schwerzenbach ZH ein gesichtsloser Bau, wie er nur in Containerhäfen vorkommen kann oder eben im Industrieviertel am Rand der Agglomeration. Aber vielleicht ist das gut so, vielleicht muss das so sein, um den Unterschied zwischen Draussen und Drinnen noch aufregender werden zu lassen, um die schwere goldene Tür, die sich erst öffnet, wenn man klingelt, zur Schleuse zu machen zwischen Alltag und Wollust. Das Drinnen ist Spielwiese, Abenteuerparcours, Sündenpfuhl, auf rund 2500 Quadratmetern und drei Stockwerken: Hamam, Sauna, Pornokino, Indoorpool mit Partybeleuchtung, verschleierte Séparées, Sexhütten im Chaletstil, Dachterrasse mit Steinbrunnen und Wasserfontäne. Und in jedem Winkel Rollen mit Haushaltpapier. Hinter der Tür empfangen den Kunden Wände aus dunkelblauem Samt und eine Sternendecke, die Réceptiontheke ist verziert mit goldenen Frauenbeinen, an deren Knien der Lack abblättert, weil sich so viele Oberschenkel daran reiben. In der Ecke hängt ein Fernseher, es läuft Fussball, darunter schwarze Badeschlarpen von Grösse 43 bis 48. Es ist Donnerstagmorgen, kurz vor elf Uhr, in wenigen Minuten öffnet das Globe. Ein Mann liefert Kondome und Gleitmittel in Kartonschachteln, etwa ein Dutzend junger Frauen melden sich zum Frühdienst, die meisten kommen aus dem ehemaligen Ostblock, einige sprechen Englisch, einige gebrochen Deutsch.
Sie sind sehr jung, sehr zierlich, sehr geschminkt, manche fast unwirklich schön. Alle haben einen perfekt geformten Po, eine kerzengerade Haltung, die einen natürliche, die anderen Silikonbrüste – obwohl, wie später zu erfahren ist, das Gros der Freier auf Naturbusen steht. Die Prostituierten tragen Uniform, das heisst: nackte Haut und Highheels. Heute ist FKK-Tag. Die ersten beiden Kunden reden mit italienischem Akzent, tragen elegante dunkle Vestons. Routiniert legen sie die 95 Franken Eintritt hin, nehmen Bademantel und Schliessfachschlüssel entgegen, taxieren die Mädchen mit Kennermine, verschwinden in Richtung Umkleidekabine. Kaum sind sie weg, tritt ein junger Mann heran, Jeans, flaumiger Bartwuchs. Er wirkt nervös. Ob er auch zwei Mädchen mit aufs Zimmer nehmen dürfe, fragt er leise. Er könne gern 18 Damen mitnehmen, antwortet der Réceptionist, ein gut aussehender Tscheche mittleren Alters, freundlich, solange er jeder von ihnen, er zeigt auf die Preisliste, den Fixbetrag von 140 Franken pro halbe Stunde «Service» bezahle, Mehrwertsteuer inklusive. «Service», das ist das Basisangebot, es umfasst Schmusen, Lecken, Blasen und Geschlechtsverkehr. Das Zeichen, dass er von einer Dame den «Service» möchte, sind Zungenkuss und erste Berührungen; macht er einen Rückzieher, zahlt er trotzdem. Extras wie Analsex oder Lesbenshows kosten zusätzlich und müssen im voraus mit der Dame vereinbart werden.
Sex à discretion
Der Junge schluckt und klemmt das Badetuch unter den Arm. Es ist zehn Minuten nach elf. Das Globe ist nur einer von unzähligen Sexclubs in der Schweiz, aber er rangiert ganz oben in ihrer Hierarchie. Rund 120 Kunden kommen täglich hierher, sieben Tage pro Woche, 365 Tage im Jahr. Sie bleiben durchschnittlich zweieinhalb Stunden, in denen sie nicht nur Sex konsumieren, sondern auch essen und Champagner trinken. Auf dem Parkplatz stehen Autos mit Kennzeichen aus der ganzen Schweiz, aus Deutschland, Österreich und Italien. Die Besucherfrequenz des Hauses lässt das Ausmass des hiesigen Sexgewerbes erahnen: Schätzungen zufolge leistet sich jeder fünfte Schweizer Mann mindestens einmal pro Jahr eine sexuelle Dienstleistung. Gemäss der Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration FIZ stehen dieser Kaufkraft rund 25 000 Frauen gegenüber, die hierzulande als Prostituierte arbeiten. Der medial ausgeleuchtete Strassenstrich macht dabei nur etwa zehn Prozent des Gewerbes aus. Neunzig Prozent findet hinter verschlossenen Türen in Saunaclubs, Hotels, Bordellen und Privatwohnungen statt, seit neustem auch in sogenannten Flatrate-Clubs: Für einen Pauschalbetrag von rund 160 Franken gibt es Sex à discretion. Ein Businessmodell analog zu gastronomischen All-you-can-eat-Angeboten.
Wie hoch der Jahresumsatz des Schweizer Sexbusiness ist, weiss niemand so genau. Fachleute gehen von 3.7 Milliarden Franken aus – eineinhalb mal mehr als pro Jahr in der Schweiz mit Sportartikeln umgesetzt wird. Mitprofiteure sind Hotels, Bars, Telefongesellschaften, Betreiber von Websites sowie die Kongress- und Messe-Industrie. «Besonders Zürich ist wegen seines Erotikangebots als Kongressdestination sehr beliebt», sagt Marijn Pulles von Don Juan, der Freierberatungsstelle der Zürcher Aids–Hilfe. «Ein Drittel der Hotelführer besteht aus Inseraten aus dem Sexgeschäft. Das ist einmalig auf der Welt.» Laut der Stadtpolizei Zürich sind allein auf Stadtgebiet 200 Bordellbetriebe bekannt. Die helvetische Unaufgeregtheit im Umgang mit der Prostitution lässt das Geschäft blühen. Mit Ausnahme von Deutschland sind sexuelle Dienstleistungen in kaum einem anderen europäischen Land so frei und legal erhältlich wie in der Schweiz. Doch wer sind eigentlich all die Männer, die ein so gigantisches Business am Laufen halten? Woher kommen sie? Was treibt sie an? «Sehen Sie sich die Männer auf der Strasse an. Da haben Sie die ganze Palette», sagt Sozialarbeiter Pulles. Jeder Mann zwischen 16 und 85 Jahren sei ein potenzieller Freier, egal, ob Single, verheiratet, geschieden oder verwitwet; egal, welcher gesellschaftlichen Schicht oder Einkommensklasse er angehört.
Unter jungen Männern ist es in den letzten Jahren überdies Mode geworden, in Gruppen ins Bordell zu gehen. Dies ist zwar nicht neu. Neu jedoch ist die Ästhetisierung, vor allem aber die Trivialisierung der Prostitution, was unter anderem mit dem steigenden Pornokonsum unter Jugendlichen zusammenhängt. Das Milieu ist cool und chic geworden. Pulles verfolgt diese Tendenz mit Sorge. «Wie bei den Computergamern verschwimmt auch hier die Grenze zwischen Fiktion und Realität immer mehr», sagt er. «Dass in der Prostitution echte Menschen agieren, geht vergessen. Alles dreht sich nur noch ums Haben und Kaufen.» Wer sich auf Online-Plattformen wie www.redlightboard.com oder www.6profi.com einloggt, sieht dies bestätigt. Die Freier, die sich in diesen Foren in «Erlebnisberichten» über die Performance der Mädchen austauschen, sind wohl kaum mehr ganz jung. Doch sind ihre Beurteilungen oft so kaltschnäuzig, dass sie den Eindruck erwecken, es gehe um die Leistung von Haushaltgeräten. So schreibt etwa ein User: «Ich hab mir mal ein Vergnügen mit Babsi gegönnt. Es war aber absolut keines. Sie kann nicht blasen und schläft auch irgendwie sonst fast ein.» Die Triebfedern des Freiertums sind so banal wie archaisch: Bequemlichkeit, Einsamkeit, Neugierde, Machtstreben, die Lust auf Abwechslung. Und vor allem: die Erfüllung erotischer Wünsche.
Wer da nun aber an bizarre Sextechniken denkt, denkt zu weit. Ganz oben auf der Wunschliste steht der Oralverkehr. «Der Blowjob ist die meistpraktizierte, schnellste und billigste Sache auf dem Markt», so Marijn Pulles. «Der Blowjob funktioniert selbst als Gegenleistung für einen Drink oder Clubeintritt.» The Blowjob rules – doch ist er längst nicht das einzige Motiv für das erkaufte Erotikabenteuer. Sebastian (Namen aller Freier und des Escortmodels geändert), ein attraktiver Mann Anfang vierzig, Manager, verheiratet, drei Kinder, besucht immer wieder mal ein Bordell, weil er es «geil» findet, fremde Haut zu spüren. Der Sex sei jeweils lausig, doch die Tatsache, dass sich eine Frau für ihn auszieht, weil er sie dafür bezahlt, die Macht, die er dabei fühlt, erregt ihn. Konrad, Barbetreiber, verheiratet, zwei Kinder, «mag hin und wieder was Neues im Bett». Natürlich könnte er sich seine Sexpartnerinnen über Datingplattformen suchen. Doch das Risiko, dass eine seiner Affären in seinem Lokal auftauchen und «Stress machen» könnte, sei ihm zu gross. Eine Prostituierte hingegen sei nicht nur für Sex, sondern eben auch für Diskretion bezahlt. Ein schlechtes Gewissen hat er nicht. Wieso auch? Er tue ja niemandem etwas an. Und Beat, Single, Mechaniker, verkehrte jahrzehntelang in Kontaktbars, weil er auf schwarze Frauen stand, auf «Tunnelblumen», wie er sagt, und weil er keine Lust hatte, eine Frau über ein langwieriges Datingprozedere kennen zu lernen.
Ein gemeinsamer Betrug
Er bezahlte seiner Auserwählten jeweils 200 Franken für die erste Nacht und blieb ihr danach oft monatelang treu. Beim Versuch, das Phänomen des Freiertums zu ergründen, zeichnet der Zürcher Psychoanalytiker Pierre Passett ein paradox anmutendes Bild: Der Gang ins Puff sei eine Strategie des Mannes, «um die Kirche im Dorf zu lassen», sagt er. «Sein Bild der Frau trennt sich in Madonna und Hure. Die Hure wird ausgelagert, um die Beziehung zuhause nicht zu gefährden und um Ungemach zu vermeiden. » Andererseits, so der Psychoanalytiker, sei der Bordellbesuch auch ein gewollter Verstoss gegen gesellschaftliche Konventionen. Der Reiz dieser Grenzüberschreitung erhält eine zusätzliche Dynamik, wenn sie im Kollektiv verübt wird. Dann etwa, wenn Kaderleute zusammen ins Bordell gehen. «Dieser gemeinsame ‹Betrug› schweisst zusammen», erklärt Passett. «Wer mitmacht, dem kann man vertrauen. Wer ausschert, ist ein Verräter.» Housemusik dröhnt aus den Boxen, über der Bar leuchten gelb-rote Frauensilhouetten, es ist halb drei Uhr nachmittags, es könnte aber auch sechs Uhr abends sein oder Mitternacht, im Globe ticken die Uhren nach eigenen Gesetzen, Zeit soll nur fühlbar sein im Halbstundentakt des Services. Auf der Bühne schlingt ein Mädchen ihr Bein um die Poledancingstange, zu ihren Füssen liegt die «Public Fuck Area», doch noch fickt hier niemand, noch sitzen die Männer auf den breiten roten Liegen, jeder für sich, lauernd, im weissen Bademantel.
Ein älterer Herr mit tätowiertem Bauch tanzt an der Bar entrückt vor einer wasserstoffblonden Front, im palazzoähnlichen Restaurant beisst eine frivol zerzauste Dame ihrem Kunden neckisch in die Schulter, er quietscht, dann schneidet er in die Schweinsfiletmedaillons mit Herbstsauce Tödi. Draussen, am Empfang, lehnt eine junge Frau an der Réception, ein hellblaues Badetuch um die Brüste gewickelt, sie wirkt müde. «Einmal Service auf dem Sofa», sagt sie und legt zehn Franken vierzig auf die Theke. Sie ist gekommen, um die acht Prozent Mehrwertsteuer abzurechnen. Rund 90 Mädchen arbeiten im Globe, einige bleiben monatelang, andere nur wenige Tage. Sie bezahlen dieselbe Eintrittsgebühr wie die Männer, danach wirtschaften sie in die eigene Tasche, im Durchschnitt schaffen sie vier bis fünf Services pro Schicht. Wer will, kann danach im Globe schlafen. Eine Übernachtung im Kajütenbett im Zehnerschlag kostet 30 Franken. Es sei ihm wichtig, dass die Damen selbstständig sind, sagt Fritz Müller, der Geschäftsführer des Globe. Sehe er, dass sie für einen Zuhälter anschaffen, engagiere er sie nicht. Fritz, wie er von allen genannt wird, ist ein Hüne, mit dunkelblonden, nach hinten gegelten Haaren. Er hat im Gastgewerbe angefangen und weiss, was Gäste wollen: gutes Essen, guten Service. So hat er, ganz antizyklisch, die Preise in seinem Club erhöht, als andere im Zug der Wirtschaftskrise die Preise senkten.
Das, sagt er, erhöhe auch die Zufriedenheit seiner Damen, was wiederum auf die Kunden abfärbe. Jovial führt Fritz durch die Räumlichkeiten, öffnet jede Tür, die zu öffnen ist, bittet nur, keine Kunden anzusprechen. Männer ab 35, verrät er, wollen nicht mehr so schnell aufs Zimmer. Während die Jüngeren auf Gruppensex stehen, gehe es älteren Kunden eher ums Vorspiel, sie wollen flirten, küssen, streicheln, erst mal abschalten, ein Bier trinken und mal sehen, «was die Antenne sagt». Unter Umständen würde später gebuhlt, gejagt und gebaggert, nur, im Gegensatz zum komplizierten Leben draussen, in einem abgekürzten Verfahren, in einem (Kondom-)geschützten Rahmen und mit 100-prozentiger Trefferquote. Fragt man Fritz, was Männer in seinen Club treibt, hebt er die Schultern. Möglicherweise würden viele nicht wagen, zuhause über ihre sexuellen Bedürfnisse zu reden, und den Sex dehalb aus der Beziehung ausgliedern, sagt er, womit er die These des Psychoanalytikers untermauert. «Es gibt aber auch solche, die sich wieder einmal jung fühlen wollen, einige sehen es als eine Form von Kino, für andere gehört der Clubbesuch zur Körperhygiene wie das tägliche Joggen. Wiederum andere kommen hierher, bevor sie in den Ausgang gehen, weil sie dann lockerer drauf sind. Und für manche ist der Blowjob alles.
Als Fremdgehen würden Abstecher in den Saunaclub hingegen selten empfunden. «Sex ist nicht gleich Liebe. Wer das nicht erkennen kann», meint Fritz, «ist arm daran.» Thomas suchte genau das: schnellen, unkomplizierten Sex. Er ist so etwas wie ein Habitué in Sachen Saunaclubs, Architekt, Mitte fünfzig, Single. Für den Sex begab er sich mit Vorliebe in die Innerschweiz. Sein Kollege holte ihn ab, dann «zischten» sie los. In den «Kampfpausen» tranken sie Cuba Libre und redeten übers Geschäft. Er habe zwar erst gezögert, in einen Sexclub zu gehen, doch was er dann sah, überzeugte ihn: «Zwanzig Frauen, eine schöner als die andere. Ich kam mir vor wie ein Kind, das die Nase an das Schaufenster einer Konditorei drückt. Ich wollte alles probieren, die Crèmeschnitte, das Erdbeertörtli und ein bisschen vom Schoggikuchen.» Das tat er auch: Thomas gönnte sich jeweils drei Mädchen pro Mal à 120 Franken pro halbe Stunde plus 30 Franken Trinkgeld. «Ein Schnäppchen», wie er meint. In Zürich habe er im Ausgang mit nur einer Frau für Blumen, Drinks und Essen oft genauso viel ausgegeben. Inzwischen liegt sein letzter Clubbesuch gut ein Jahr zurück. Er ist vom Sexshoppen müde geworden. Müde aber auch vom Business an sich. Wäre er eine der Frauen, gesteht er, müsste er Drogen nehmen, um das auszuhalten: «Keiner macht diese Arbeit Spass. Am liebsten hätten alle diese Mädchen doch einfach einen Mann, der für sie sorgt.»
Geil auf Liebe
Lange hatte er diese Gedanken ausgeklinkt. Dann aber begann er sich zu fragen, welchen Sinn die Clubbesuche machen – vor allem für ihn selbst. «Du streichelst jemanden, der neben dir auf dem Bett liegt. Du willst mehr geben, kannst aber nicht, weil die Situation zu künstlich, die Zeit zu knapp ist. Wenn du ins Puff gehst, hältst du dein Potenzial als Liebender zurück.» Sein Kumpel verliebte sich in eine Prostituierte. Der tat ihm leid. Im Sexbusiness, betont er, «ist das Herz fehl am Platz». Nuttenretter, so nennen sie die Männer im Milieu, die sich immer wieder in Prostituierte verlieben, für sie kochen, waschen und sogar für sie beten. Die Sehnsucht nach Liebe – auch im Puff ist sie immer irgendwie da. Viele sind sogar richtig geil darauf, geil auf die Liebe, die gut tut, selbst wenn sie bezahlt ist. Darauf baut das Konzept «Girlfriendsex», zurzeit der Topseller im Escortservice. «Girlfriendsex» bedeutet, Sex zu haben wie in den besten Tagen, mit der eigenen Partnerin zu kuscheln, zu reden und irgendwann auch mit ihr zu schlafen. Männer legen dafür bis zu 600 Franken pro Stunde auf den Tisch. «Die meisten meiner Kunden suchen Zärtlichkeit, Liebe, Anerkennung und Abenteuer», bestätigt Karin, eines der «Ultimate Models» von Jessica’s Escort in Zürich, eine 25-jährige deutsche Bankangestellte, die ihr Engagement als Edelprostituierte in der Schweiz als «Kreativzeit» sieht.
«Sie buchen mich, weil sich ihre Frauen nicht mehr für Sex interessieren. Viele erzählen, wie schön vorher alles war. Dann hätten sie geheiratet, das erste Kind bekommen, und die Leidenschaft war weg. Die Frau habe nun alles: Kind, Haus, Ehemann. Aber er, der Mann, gehe vergessen.» Er höre von vielen Klienten, dass der Mann erstmals fremdgeht, wenn die Frau mit dem ersten Kind im Spital ist, bestätigt Psychoanalytiker Passett. Der Mann sucht sich ausserhalb der Beziehung, was innerhalb abgeflaut ist. Er spürt, dass die Frau weniger an ihm interessiert ist, weil das Kind mehr Zärtlichkeit fordert und auch bietet als er. «Insofern ist das Bordell die Konkurrenz zum Kind», sagt Passett. «Männer decken in der Prostitution oft die Seite ab, die Frauen über das Kind abdecken: die nicht mehr lebbare, erotische Seite der Paarbeziehung.» Sind also die Frauen schuld, wenn ihre Männer zu Freiern werden? Das wäre dann doch zu einfach gedacht. Denn die Lockerheit und vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der sexuelle Dienstleitungen konsumiert werden, erstaunen. Wo bleibt die Eigenverantwortung der Männer? Entbindet sie etwa die Option, jederzeit Sex kaufen zu können, davon, die Beziehungsprobleme anzugehen? Verharren sie dadurch nicht im kindlichen Verhaltensmuster der Instant Happiness, das darauf abzielt, etwas befriedigt zu bekommen, ohne etwas dafür zu tun?
«Es ist nicht so, dass Männer, die ins Bordell gehen, Probleme verdrängen oder ihr Verhalten nicht reflektieren», betont Psychoanalytiker Passett. «Im Gegenteil: Viele wissen genau, was sie tun, und haben sehr wohl ein schlechtes Gewissen. Manche suchen dann Hilfe, weil sie zwar erkennen, dass sie ihre Ehe damit aufs Spiel setzen oder sich finanziell ruinieren, aber nicht wissen, wie sie von der Prostitution loskommen sollen.» Thomas hat aus freien Stücken beschlossen, sich künftig zuerst in eine Frau zu verlieben, bevor er mit ihr ins Bett geht. Sebastian hat mit den Bordellbesuchen aufgehört, als ihn der Verdacht beschlich, dass die Frauen, die sich im vermeintlichen Edelpuff für ihn auszogen, Opfer von Menschenhandel sein könnten. Und Beat sucht nun nicht mehr nach Tunnelblumen, sondern via Datingplattformen nach einer Frau, mit der er sich niederlassen kann. Wie er sie sich vorstellt? Sie soll selbstständig sein und schlank, etwa zehn Jahre jünger als er, Golf spielen – und ihn einmal pro Jahr für drei Wochen nach Thailand reisen lassen. Allein.
Sollte Prostitution verboten werden? Ein Interview mit Rebecca Angelini von der Zürcher Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration FIZ.
Sexarbeit verbieten?
Die Kriminalisierung der Freier, wie es in Skandinavien Praxis ist, schützt die Frauen nicht, sagt Rebecca Angelini (Bild unten), von der Zürcher Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration FIZ.
annabelle: annabelle: Rebecca Angelini, die deutsche Feministin Alice Schwarzer setzt Prostitution mit Frauenhandel und Sklaverei gleich. Ihre Haltung dazu?
Rebecca Angelini: Das ist absurd. Wir müssen unterscheiden zwischen Frauenhandel und Sexarbeit: Frauenhandel ist ein schweres Verbrechen. Wir betreuen pro Jahr rund 200 Frauen, die in der Schweiz davon betroffen sind. Sexarbeit hingegen ist eine Erwerbstätigkeit, der hierzulande schätzungsweise 25000 Frauen nachgehen. Die meisten dieser Frauen entscheiden selbstbestimmt, was sie unter welchen Bedingungen zu welchem Preis anbieten und was sie mit dem Geld machen.
Wie freiwillig ist Sexarbeit wirklich? Die meisten Sexarbeiterinnen sind Migrantinnen. Viele haben keine andere Wahl, als sich in der Prostitution zu verdingen.
Das ist richtig. Viele Migrantinnen sind aufgrund der Verkettung von wirtschaftlicher Not und struktureller Diskriminierung zu Sexarbeiterinnen geworden. Sie haben in ihren Herkunftsländern geringe Bildungschancen und kaum Jobaussichten. Oft aber müssen diese Frauen ihre Familien unterstützen oder brauchen Geld für die Bildung oder medizinische Versorgung ihrer Kinder. Hier in der Schweiz sind sie aufgrund ihres ausländerrechtlichen Status in ihren Arbeitsmöglichkeiten eingeschränkt. Sie können höchstens als Haushalthilfe oder Putzfrau Arbeit finden. Sie wägen ihre Optionen ab und entscheiden sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen Situation bewusst für die Arbeit im Sexbusiness. Diese Frauen sind keine Opfer, sondern Menschen, die oft die alleinige Verantwortung für ihre Familien tragen und mutige Entscheide fällen.
Sie implizieren, dass Sexarbeit eine Arbeit ist, wie jede andere auch. Den eigenen Körper zu verkaufen, ist doch nicht mit der Arbeit einer Anwältin, Sekretärin oder Ärztin gleichzusetzen.
Nein, Sexarbeit ist eine harte Arbeit, die mit sehr viel gesellschaftlicher Stigmatisierung und behördlicher Diskriminierung verbunden ist. Aber eine Sexarbeiterin verkauft nicht ihren Körper, sondern eine sexuelle Dienstleistung. Die Frau entscheidet selbstbestimmt, was sie unter welchen Bedingungen zu welchem Preis anbietet und welche Freier sie bedienen will.
Das ist doch beschönigend. Was haben zum Beispiel Flat-Rate-Betriebe, in denen Frauen zu Pauschalpreisen angeboten werden, mit Selbstbestimmung zu tun?
Im Sexgewerbe gibt es Strukturen, die Frauen diskriminieren, ja. Dennoch: Das Sexgewerbe ist nur ein Bereich, in dem Ausbeutung und Diskriminierung vorkommen. Gewalt und Ausbeutung gibt es auch in der Hausarbeit oder in der Ehe. Oder schauen Sie sich die Werbung an. Da wird fast alles über den Körper der Frau verkauft. Aber darüber regt sich kaum jemand auf.
Die Schweiz geht pragmatisch mit der Prostitution um: Sexarbeit geniesst den verfassungsrechtlichen Schutz der Wirtschafts- und Gewerbefreiheit. Das könnte sich nun ändern: Die Berner EVP-Politikerin Marianne Streiff fordert in einem parlamentarischen Vorstoss den Bundsrat auf, ein Prostitutionsverbot zu prüfen. Damit folgt sie dem internationalen Trend, der auf ein Verbot der Prostitution abzielt. Was sagen Sie dazu?
Das würde ich relativieren. Denn dieses Jahr hat auch der FDP-Nationalrat Andrea Caroni zu diesem Thema einen Vorstoss lanciert, der mehr Rechte für die Sexarbeiterinnen fordert. Dieser Vorstoss zielt also in eine ganz andere Richtung und fand sehr breite Unterstützung von ganz links bis ganz rechts. Die Verbotsforderung ist in der Schweiz zum Glück nicht mehrheitsfähig. Zu Recht, denn ein Verbot schadet nur. Es führt nicht dazu, dass die Prostitution verschwindet, sondern es drängt das Sexgewerbe in die Illegalität ab. Frauen, die im Verborgenen arbeiten müssen, sind ungeschützt und leichter ausbeutbar. Das macht es den Menschenhändlern und Zuhältern einfach.
Hat die Liberalisierung der Prostitution nicht dazu geführt, dass der Menschenhandel aus den osteuropäischen Ländern und Brasilien stark zugenommen hat?
Eine steigende Anzahl von Menschenhandelsfällen heisst nicht automatisch, dass der Menschenhandel per se zunimmt, sondern sagt vor allem etwas über die Sensibilisierung und Spezialisierung der Behörden aus. Denn spezialisierte Polizisten, die im Sexgewerbe ermitteln, erkennen Opfer und können sie zur Unterstützung an spezialisierte Opferhilfestellen wie die FIZ verweisen. Ein Verbot dagegen würde dazu führen, dass Sexarbeiterinnen aus dem Ausland nicht mehr selbständig in die Schweiz reisen und hier legal arbeiten könnten. Sie wären auf Helfer, also Menschenhändler und Zuhälter angewiesen, um herzukommen. Ein Verbot würde den Menschenhandel nicht verhindern, sondern begünstigen.
Immerhin: In Schweden, wo der Kauf von sexuellen Dienstleistungen strafbar ist, soll zumindest die Strassenprostitution weitgehend verschwunden sein.
So steht es in einem Bericht der schwedischen Regierung, ja. Der sichtbare Teil des Sexgewerbes mag verschwunden sein, aber schwedische NGOs berichten, dass lediglich eine Verdrängung stattgefunden hat. Die Kontakte werden über Handy oder Internet hergestellt und die Frauen empfangen die Freier in Wohnungen und anderen Etablissements. Neue Untersuchungen zeigen überdies, dass sich die Situation für die Frauen durch die Kriminalisierung des Sexkaufs erschwert hat: Das Geschäft wird in dunkle Ecken verschoben, und da es schnell gehen muss, haben die Frauen weniger Zeit, mit dem Freier zu verhandeln und abzuschätzen, ob er gefährlich sein könnte. Zudem ist es für die Polizei schwieriger geworden, Opfer von gewalttätigen Zuhältern zu identifizieren und gegen die Täter zu ermitteln.
Trotzdem: Inzwischen sind Norwegen, Finnland und Island dem schwedischen Modell gefolgt und auch Frankreich will ein ähnliches Gesetz erlassen.
Egal, wie die Prostitution von den Ländern geregelt wird, sie verschwindet nie. Das muss muss eine Gesellschaft als Realität anerkennen. Muss man das wirklich einfach so akzeptieren? Tatsache ist, dass durch ein Verbot die Ursachen der Sexarbeit, also Probleme wie das Ungleichgewicht der Geschlechter oder das Ungleichgewicht zwischen den Ländern nicht gelöst werden, sondern dass dadurch eine Verdrängung der Prostitution stattfindet – mit fatalen Folgen für die Sexarbeiterinnen.
Welche Strategie schlagen Sie vor?
Legalität und rechtliche Gleichstellung sind der beste Schutz für die Frauen. In der Schweiz zum Beispiel gilt Sexarbeit noch immer als «sittenwidrig», was die Stellung der Sexarbeiterinnen schwächt. Im Moment sind im Parlament Vorstösse hängig, die die Aufhebung der Sittenwidrigkeit fordern.
In der Stadt Zürich trat vor gut einem Jahr die Prostitutionsgewerbeverordnung in Kraft, die die Prostituierten von Ausbeutung und Gewalt schützen soll. Ist dies ein Fortschritt?
Auf dem Papier, ja. Doch in der Realität wirken viele dieser Schutzmassnahmen repressiv: So müssen zum Beispiel Frauen, die auf dem Strassenstrich arbeiten, Bewilligungen einholen. Dafür müssen sie ein offizielles Behördengespräch absolvieren, was in sich schon eine hohe Hürde ist, zudem eine Aufenthaltsbewilligung und eine Krankenversicherung vorweisen können. Dieses Verfahren ist so komplex, dass viele Frauen lieber illegal anschaffen oder eine Drittperson engagieren müssen, die ihnen den Weg ebnet, was wiederum neue Abhängigkeiten verursacht.
In letzter Zeit ist auch die Betriebsbewilligung verschärft worden, die es braucht, um einen Salon zu führen. Welche Konsequenzen hat das für Sexarbeiterinnen?
Es gibt heute viele kleine Salons, die von zwei oder drei Frauen betrieben werden. Sie organisieren sich meist selbst, unterstützen sich gegenseitig und sind unabhängig von Zuhältern. Durch die neuen Betriebsbewilligungsverfahren werden diese kleinen Arbeitsgemeinschaften bedroht. Dafür geht der Trend Richtung Grossbetriebe, wie eben Sauna- oder Flat-Rate-Clubs.
Sie sagen, dass die Bedürfnisse und Anliegen von Sexarbeiterinnen nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen. Wie ist das zu verstehen?
Es ist leider noch Tatsache, dass Sexarbeiterinnen hierzulande nicht dieselben Rechte auf gute Arbeitsbedingungen, sichere Arbeitsplätze und Schutz vor Diskriminierung und Stigmatisierung geniessen wie andere Arbeitnehmerinnen. Zudem bietet die schweizerische Migrationspolitik keine Arbeitsmöglichkeiten für Frauen, die aus der Sexarbeit aussteigen und in der Schweiz bleiben wollen. Und vor allem: Solange keine grundsätzliche Debatte darüber geführt wird, warum es Sexarbeit in unserer Gesellschaft überhaupt gibt, wie geschlechtsspezifische Erziehung dazu führt, dass Männer sich gegen Geld «alles» kaufen wollen und können, und Frauen ihren Körper als Kapital einsetzen, wie Sexarbeit mit Kapitalismus und Globalisierung zusammenhängt – solange fordern wir, pragmatisch die Realität anzuerkennen und dafür zu kämpfen, dass die Betroffenen mehr Rechte bekommen.
1.
In jedem Winkel Rollen mit Haushaltpapier
2.
Blick in ein Séparée …
3.
auf den Spind einer der Prostituierten und …
4.
…in die Lobby, wo Badeschlarpen akkurat nach Grösse geordnet auf Benutzer warten
5.
An diesem nebligen Tag nicht gerade der ultimative Lustgarten: «Public Fuck Area» auf der Dachterrasse