Die Sexfrage: Was tun, wenn ich mehr Lust auf Sex habe als mein:e Partner:in?
- Text: Bettina Disler
- Bild: Stocksy; Collage: annabelle
Alle zwei Wochen beantwortet Paar- und Sexualtherapeutin Bettina Disler eine Frage zum Thema Liebe oder Sex. Diesmal geht es darum, wie man mit unterschiedlich hoher Lust auf Intimität umgeht.
Primär ist es wichtig zu unterscheiden, ob man mehr Lust auf Sex im Generellen hat oder mehr Lust auf Sex mit dem:der Partner:in. Denn entscheidend für die Lust des Gegenübers ist mitunter auch die Motivation, ob man sich in einer sexuellen Interaktion gemeint fühlt oder ob es eher den Eindruck erweckt, man sei nur in der Bringschuld und somit auch beliebig austauschbar.
Geht es einem beispielsweise beim Sex vor allem darum, Bestätigung vom Gegenüber zu bekommen, dass man begehrenswert ist, kann das mit der Zeit auf die andere Person abturnend wirken, so dass sie immer weniger Lust hat und sich unweigerlich zurückzieht. Es stellt sich also die Frage: Fühle ich mich unabhängig vom Gegenüber begehrenswert? Und was tue ich dafür, dass sich andere zu mir hingezogen fühlen? Denn vor allem dann, wenn man mit sich im Reinen ist, übt man auch eine gewisse Anziehung auf andere aus.
Auf jeden Fall sollte man bei unterschiedlicher sexueller Lust das Gespräch suchen und sich darüber austauschen, ob beide dieselbe Art und Weise mögen, wie sie sich sexuell begegnen – oder aber ob hier verschiedene Interessen bestehen und es deshalb nicht öfters zu einem sexuellen Austausch kommt. Dabei kann ein solch offenes Gespräch dem Paar Türen öffnen zu einer neu erfahrbaren Sexualität.
«Liegt es nicht an unterschiedlichen Interessen, ist ein Blick auf die Phasen der Partnerschaft hilfreich»
Liegt es jedoch nicht an den unterschiedlichen Interessen, ist ein Blick auf die Phasen der Partnerschaft hilfreich: In welcher Phase befinden wir uns? Seit wann besteht das Ungleichgewicht? Eine stressige Zeit – sei es jobbedingt oder wenn Kinder erhöhte Aufmerksamkeit fordern – kann sich negativ auf die Libido auswirken. Ebenfalls können die Einnahme von gewissen Medikamenten und hormonelle Veränderungen Lustlosigkeit herbeiführen. Zu verstehen, dass die momentane Phase sich auch wieder ändern wird, hilft den Betroffenen die Ursache an der Wurzel zu packen, um gemeinsam wieder Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Hat man hingegen per se einen höheren Sexdrive als sein Gegenüber, und das schon seit Beginn der Beziehung, dann bleibt einem nichts anderes übrig, als dies zu akzeptieren und – nur falls es für beide stimmig ist – eventuell die Beziehung zu öffnen. Gelingt dies jedoch nicht und der Leidensdruck wird immer grösser, muss man früher oder später die Konsequenzen ziehen und in Zukunft getrennte Wege gehen.
Bettina Disler arbeitet in ihrer Praxis in Zürich als Paar- sowie Sexualberaterin und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Sie hat ein eigenes Modell entwickelt, mit dessen Hilfe sich Bewegung in festgefahrene Beziehungen bringen lässt. 2019 hat Disler beim Klett-Cotta Verlag ein Fachbuch zu den Themen Lustlosigkeit, Entfremdung und Affären veröffentlicht.