Liebe & Sex
Die Sexfrage: Sind meine sexuellen Vorlieben kinky?
- Text: Bettina Disler
- Bild: Stocksy; Collage: annabelle
Alle zwei Wochen beantwortet Paar- und Sexualtherapeutin Bettina Disler eine Frage zum Thema Liebe oder Sex. Diesmal geht es darum, wie man erkennt, ob die eigenen sexuellen Vorlieben eher konventionell oder kinky sind.
«Kink» ist umgangssprachlich und steht für alle sexuellen Praktiken, Vorlieben und Fantasien, die nicht «Vanilla» sind. Und schon sind wir im Begriffsdschungel angelangt. Übersetzt wird Kink als Knick und verstanden als Abzweigung von einer geraden, «normalen Linie». Der Begriff Vanilla hingegen steht für die Lieblingseissorte der Amerikaner:innen und hat sich in der sexuellen Kultur der Neunzigerjahre als Bezeichnung für konventionellen Sex und als Abgrenzung gegenüber der BDSM-Szene etabliert.
Der sogenannte Blümchensex galt jahrzehntelang als die Norm. Alles andere wurde als sexuelle Störung abgetan und somit als krankhaft betrachtet. Doch das, was noch vor nicht so langer Zeit als das einzige gesellschaftlich akzeptierte Sexualverhalten eingestuft wurde, ist heute Schnee von gestern. Dank der sexuellen Revolution und damit einhergehend einer immer grösseren Toleranz und Akzeptanz von unterschiedlichen sexuellen Präferenzen: Diese können sich mehr denn je in unserer Gesellschaft entfalten und mit Gleichgesinnten frei ausgelebt werden.
So haben sich von der ursprünglichen Linie etliche Abzweigungen – also Kinks – aufgetan, die in ihrer Anzahl und Unterschiedlichkeit so vielfältig sind, dass es heutzutage fast schon schwierig ist, weder nach links noch nach rechts zu schauen, um auf der Geraden zu bleiben. Kink ist sehr subjektiv und ein weit gefasster Begriff, weil er ja alles beinhaltet, was bildlich gesprochen eben nicht auf der geraden Linie ist.
«Es ist höchste Zeit, alle Stigmata hinter sich zu lassen zu einer für dich ganz persönlich erfüllenden Sexualität zu kommen»
Doch wo genau man von Vanilla abkommt und zu Kink wechselt, ist je nach Person und Verständnis davon an einem unterschiedlichen Punkt. Kink ist Ausdruck einer ganzen Bandbreite von spielerischen Praktiken – auch dann, wenn diese ausschliesslich in Fantasien ausgemalt werden. Streng genommen würde man den Gebrauch von Sexspielzeugen, Dirty Talk, Analverkehr, Fessel- und / oder Rollenspiele, Swinger-Aktivitäten und die Fantasie von einem Dreier auch schon als kinky bezeichnen – nebst den gängigen Vertretern wie BDSM-Praktiken und diversen Fetischen.
Sobald du dir also die Frage stellst, ob deine sexuellen Vorlieben kinky sind, sind sie es wahrscheinlich eh. Kinky ist das neue Normal! Und es ist höchste Zeit, alle Stigmata hinter sich zu lassen und über all diese Umwege doch noch zum Ziel zu kommen: Nämlich zu einer für dich ganz persönlich erfüllenden Sexualität. Solange die eigenen sexuellen Vorlieben aus freien Stücken und im gegenseitigen Einverständnis mit anderen ausgeübt werden, und solange dies keinen Leidensdruck erzeugt und man damit weder sich selbst noch anderen Schaden zufügt, stehen einem also alle Kinks offen.
Was übrigens nicht heisst, dass dies konventionellen Sex per se ausschliesst: Wir alle sind ein Leben lang auf einer Reise, mal geht es linear voran, mal biegen wir ab und später dann nehmen wir wieder die Gerade auf. Im Wissen darum, dass es das eine nicht ohne das andere gibt und gerade eben dieser Kontrast das Erleben erst ausmacht, öffnen wir uns für unser ganz persönliches sexuelles Universum.
Bettina Disler arbeitet in ihrer Praxis in Zürich als Paar- sowie Sexualberaterin und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Sie hat ein eigenes Modell entwickelt, mit dessen Hilfe sich Bewegung in festgefahrene Beziehungen bringen lässt. 2019 hat Disler beim Klett-Cotta Verlag ein Fachbuch zu den Themen Lustlosigkeit, Entfremdung und Affären veröffentlicht.