Die Liebesfrage: Wie viel Streit in der Beziehung ist normal?
- Text: Bettina Disler
- Bild: Stocksy; Collage: annabelle
Alle zwei Wochen beantwortet Paar- und Sexualtherapeutin Bettina Disler eine Frage zum Thema Liebe oder Sex. Heute geht es um Päärli-Streitereien: Ab wann muss man sich Sorgen machen?
Schon mal vorab – in meiner langjährigen Praxistätigkeit als Paartherapeutin habe ich realisiert: «Normal» gibt es nicht. Es gibt Paare, die hauen sich leidenschaftlich und regelmässig Wörter unter der Gürtellinie um die Ohren, sie betreiben Streiten wie eine Art Sport. Mir erzählen solche Paare, dass es ihnen guttut, Dampf abzulassen – und sich danach beim Versöhnungssex wieder zu vertragen. Erlaubt ist alles – so lautet ihre Spielregel. Beide wissen nämlich, dass diese Aussetzer ausschliesslich innerhalb eines Fights passieren. Danach sind beide entspannt und gut ist.
Ganz im Gegensatz dazu vermeiden extrem harmoniebedürftige Paare Streit um jeden Preis. Sie passen sich gegenseitig so sehr aneinander an, bis keiner der beiden mehr weiss, wer er oder sie eigentlich ohne die Beziehung noch ist. Vor lauter Kompromisse sind sie nicht nur dabei, sich selbst zu verlieren – sondern alsbald die Beziehung an sich.
Im Konflikt beziehen wir Position, wir haben den Mut, anderer Meinung als unser Gegenüber zu sein und uns voneinander abzugrenzen. Das ist gut. Denn nicht umsonst finden wir die Andersartigkeit oft spannend und damit anziehend
«Vorwürfe sagen viel mehr über einen selbst aus als über das Gegenüber»
Weniger sexy ist für viele allerdings, wenn man immer wieder aus dem Nichts mit Vorwürfen beschossen wird und sich damit gegenseitig immer wieder arg aufs Neue verletzt. Das zehrt an den Kräften und vergiftet auf die Dauer die Beziehung.
Man muss wissen: Vorwürfe sagen viel mehr über einen selbst aus als über das Gegenüber. Und hier wird es spannend! In der Auseinandersetzung darüber, was man für sich braucht, damit es einem in der Beziehung gut geht, entsteht wertvolles Verhandlungsmaterial und damit die Chance für einen interessanten Austausch auf Augenhöhe. Indem man keine halbherzigen Kompromisse macht und gewillt ist, miteinander so lange zu verhandeln, bis ein für beide stimmiger Konsens gefunden wird, wird die Beziehung immer wieder aufs Neue belebt.
Paare, die aus ihrem Streit-Teufelskreis ausbrechen wollen, müssen verstehen, dass es möglich ist, vom Streiten ins Verhandeln zu wechseln. Anders als beim Streiten bleibt man hierbei, trotzdem man den eigenen Standpunkt vertritt, mit seinem Gegenüber verbunden – und landet nicht in einer Sackgasse.
Bettina Disler arbeitet in ihrer Praxis in Zürich als Paar- sowie Sexualberaterin und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Sie hat ein eigenes Modell entwickelt, mit dessen Hilfe sich Bewegung in festgefahrene Beziehungen bringen lässt. 2019 hat Disler beim Klett-Cotta Verlag ein Fachbuch zu den Themen Lustlosigkeit, Entfremdung und Affären veröffentlicht.
Liebe Frau Disler
Vielen Dank für Ihre spannenden Ausführungen! Vielleicht eine blöde Frage… Aber wie komme ich vom Streit (wo ich aufgerieben oder gar ´hässig’ bin) in die Verhandlungszone? Haben Sie uns einen pragmatischen Kniff? Vielen Dank und Grüsse
Guten Tag, wir freuen uns, dass Ihnen der Artikel gefällt. Leider kann Frau Disler an dieser Stelle keine individuellen Fragen beantworten. Bei weiterführenden Fragen zum Thema Streit in der Partnerschaft empfehlen wir ein Gespräch mit einer Fachperson, die weitere wertvolle Tipps für den Beziehungsalltag anbieten kann. Herzliche Grüsse und ein schönes Wochenende, Sandra Huwiler
Gerne mehr solcher Beiträge! Auf in den Streit oder eben: mit dem Material zur Verhandlung 🙂
Wir freuen uns, wenn dir der Beitrag gefällt! Liebe Grüsse
Immer wieder spannende Tipps Bettina. Das mit den Vorwürfen überlege ich mir beim nächsten Mal.