Liebe & Sex
Die Liebesfrage: Wie schafft man das Fundament für eine stabile Beziehung?
- Text: Bettina Disler
- Bild: Stocksy; Collage: annabelle
Alle zwei Wochen beantwortet Paar- und Sexualtherapeutin Bettina Disler eine Frage zum Thema Liebe oder Sex. Heute geht es darum, wie man den Grundstein für eine widerstandsfähige Beziehung legt.
Es heisst «Falling in Love», wenn wir uns verlieben. Wir lassen uns also fallen und schweben sozusagen im luftleeren Raum oder wie oft gesagt wird: auf Wolke 7. Nichts scheint unmöglich zu sein, wir schöpfen aus den Vollen. Lassen unseren Träumen freien Lauf. Bauen Luftschlösser. Vergleichbar ist das vielleicht mit der Entwurfsphase in der Architektur. Skizzen und Moodboards entstehen aus dem Flow.
Irgendwann dann kommt der Realitätscheck, die Landung. Meistens geht diese mit einer Enttäuschung einher. Oder im positiven Sinne gesehen: eine Täuschung fällt ab. Die rosarote Brille wird abgelegt und was zum Vorschein kommt sind harte Fakten. Wir kommen in die Umsetzungsphase und stellen uns dem, was machbar ist und was nicht. So fragen wir uns: kann ich mit meinem Gegenüber eine gemeinsame Zukunft aufbauen?
Wir alle sind Architekt:innen unseres Lebens. Was bedeutet, dass wir auch unsere Beziehungen gestalten. Das stabile Fundament einer Partnerschaft beruht auf gemeinsamen Werten und gegenseitigem Vertrauen. Dies setzt jedoch Selbstkenntnis voraus. Und den Mut, für seine eigenen Werte einzustehen – auch wenn es mal brenzlig wird. Ist nur eine Partei nicht ehrlich zu sich selbst und geht aus Angst, das Gegenüber zu verlieren, zu grosse Kompromisse ein, steht die Beziehung auf wackeligen Beinen.
Man stellt sich vor, das Fundament vom eigenen Haus wird aus schlechtem Zement gebaut. Obwohl man weiss, es könnte früher oder später im Keller schimmeln, schliesst man die Augen vor den Tatsachen und denkt sich: das wird schon nicht passieren. Ich konzentriere mich jetzt auf den ersten oder zweiten Stock des Hauses, wie zum Beispiel auf die Hochzeit oder die Gründung einer gemeinsamen Familie. Sind die Kinder dann da, modert es bereits im Keller. Obwohl das Zuhause, von aussen betrachtet, weiterhin hübsch und makellos scheint.
«In der Partnerschaft spricht man von der eigenen Stabilität der Partner:innen, die mit sich im Reinen sind und ihre Individualität gleichzeitig mit dem Bedürfnis nach dem Miteinander in Einklang bringen können»
Wenn wir bei der Analogie bleiben wollen: ein Fundament muss gut durchdacht sein. Und aus Material bestehen, das statische und bauphysikalischen Qualitäten gewährleistet, also nicht schimmelt, gewissem Druck Widerstand leistet und Erdbeben standhält. Übertragen auf die Partnerschaft könnte man von der eigenen Stabilität der Partner:innen sprechen, die so gesehen mit sich im Reinen sind und ihre Individualität gleichzeitig mit dem elementaren Bedürfnis nach dem Miteinander in Einklang bringen können.
Der amerikanische Psychotherapeut Murray Bowen nennt das die «Differenzierung des Selbst»: die Fähigkeit eines Menschen, eine intime Beziehung einzugehen, sich also auf das Gegenüber einlassen können, ohne dabei die eigene Autonomie zu verlieren. Teamwork sozusagen.
Es ist sicherlich hilfreich, wenn man mit den richtigen Werkzeugen ausgerüstet ist und das Handwerk beherrscht, um sein Lebenswerk zu realisieren. Nebst dem eigenen Selbstbewusstsein und Vertrauen, das man seinem Gegenüber entgegenbringt, ist die Kommunikation in einer Beziehung, beziehungsweise das fortwährende Verhandeln miteinander, essenziell.
Sich auszutauschen und einander immer wieder mal auf den aktuellsten Stand zu bringen. Was will ich mit dir und was willst du mit mir? Beim Bauen des Fundaments sollten also die groben Skizzen aller Beteiligten offengelegt werden, so dass eben nicht die eine oder andere böse Überraschung plötzlich ans Tageslicht tritt. Und steht das Fundament dann mal, sollte nicht vergessen werden, den gemeinsamen Keller stets in Stand zu halten und regelmässig durchzulüften.
Bettina Disler arbeitet in ihrer Praxis in Zürich als Paar- sowie Sexualberaterin und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. Sie hat ein eigenes Modell entwickelt, mit dessen Hilfe sich Bewegung in festgefahrene Beziehungen bringen lässt. 2019 hat Disler beim Klett-Cotta Verlag ein Fachbuch zu den Themen Lustlosigkeit, Entfremdung und Affären veröffentlicht.
Die “die Liebesfrage” Artikel sind immer auf einem sehr durchdachten Fundament gebaut, und helfen – mit Hilfe von grossartigen Analogien – die Dynamiken von Beziehungen besser zu verstehen und zu managen, danke!