Body & Soul
Dein Freund, mein Feind: Was, wenn man den Freund der Tochter nicht ausstehen kann?
- Text: Antje Joel; Illustration: Matthew Woodson
Manche Menschen kann man nicht ausstehen. So ist das Leben. Blöd ist nur, wenn der Typ, den man nicht leiden kann, ausgerechnet der Freund der Tochter ist. Tja, was dann?, fragt sich unsere Autorin Antje Joel.
Ich mag den Freund meiner Tochter nicht. Schlimmer, ich kann ihn nicht ausstehen. Ich könnte auf Anhieb zwei oder drei greifbare Gründe dafür nennen. Und etwas nicht Greifbares, Fühlbares, noch Namenloses. Aber natürlich ists ohnehin so gut wie egal. Ich muss ihn nicht mögen. Er ist ja nicht mein Freund. Und meine Tochter ist eine erwachsene Frau. Anderseits bin ich keine Könnerin darin, mit meinen Gefühlen hinter dem Berg zu halten. Auch dann nicht, wenn das vielleicht das Klügere wäre. Oder? Wäre es, auf meine Tochter und ihren Freund bezogen, Verrat? Meine Tochter ist 23. Ihr Freund ist 45. Beinahe so alt wie ich. Meine Tochter sagt: «Na und, er ist ein paar Jahre älter. Macht ihn das schon zu einem schlechten Mann?» Ich würde gern denken: Natürlich nicht. Denn das wäre unfair. Wahnsinnig oberflächlich. Gemein.
Und dann sehe ich meine Tochter an. Die sehr jung und sehr schön und, was sie selbst und das Leben und Lieben betrifft, trotzdem eben noch unsicher ist. Und ich denke: Natürlich doch. Meine Tochter kennt den Mann seit langem. Über die ersten beiden Jahre war er ihr Chef, einer von zweien. «Mehr nicht!», sagte sie. Ich, die den Mann flüchtig kannte, erlebte mich hin- und hergerissen zwischen Argwohn und Sorge. Und dem, na ja, sagen wir: Bewusstsein, dass es mich nichts anging, ob und wenn da mehr wäre. Sie war 19, immerhin. Sie verlor ihre Wohnung und zog auf sein Sofa. Sie waren: «Gute Freunde, mehr nicht!» Immer mit diesem höchst zweifelhaften Ausrufezeichen. Seit zwei Jahren sind sie offiziell ein Paar. Das ist allein ihre Sache, na klar. Zugegeben, ausser dass er fast doppelt so alt ist wie meine Tochter, weiss ich nicht viel über den Freund.
T-Shirts mit Bandnamen
Wir haben uns gerade ein paar Mal getroffen. Wenn ich ihm in die Augen schaue, weicht er meinem Blick aus. Wenn er mich anspricht, dann über meine Tochter. Wie das eine Mal im Café, als er sie, die gleich neben mir stand, fragte: «Was will deine Mutter trinken?» Und als ich sagte: «Danke, nichts», an meine Tochter gewandt zischte: «Sag ihr, ich zahle!» Ich nehme an, er mag mich so wenig wie ich ihn. Meine Tochter sagt: «Falsch!» Was ihr Freund tatsächlich fühle, sei Ablehnung. Und zwar meine. Dass er sich in meinem Beisein gebe, wie er sich gibt, liege allein an mir. «Sonst ist er ganz anders!» Weil es unmöglich ist, das zu widerlegen, sagte ich: «Das tut mir leid.» Meine Tochter nahm es als Zynismus. Sie nannte mich kalt. Weil ich nicht kalt genug bin, dass mich das unberührt liesse, fragte ich: «Was kann ich tun?»
Sie sagte: «Natürlich möchte ich, dass ihr euch mögt. Wenigstens, dass ihr miteinander auskommt.» Sie fragte: «Ist das so schwer?» Ich dachte: Ja! Der Freund meiner Tochter ist eher klein. Er kleidet sich gern in Schwarz. Oder er trägt T-Shirts mit Bandnamen oder lustigen Sprüchen. Als Fotograf porträtiert er junge Mädchen in Unterwäsche und seltsamen Posen. Die Bilder stellt er auf Facebook aus. Er macht Witze. Eigentlich ununterbrochen. Das ist an sich schon ziemlich anstrengend. Wirklich enervierend ist, dass er gern Witze auf Kosten meiner Tochter macht. Manchmal eher subtil. Zum Beispiel als sie, etwas scheu, das Baby ihrer Schwester auf den Arm nahm und der Freund das Kind aufforderte: «Heule!» Dann wieder ganz und gar offen. Indem er zum Beispiel ein Foto auf Facebook stellt, auf dem meine Tochter in einem Einkaufswagen sitzt, den der Freund schiebt. Unter dem Bild kommentierte er: «Selbstverständlich habe ich zuvor die Geschäftsbedingungen geprüft. Ich kann die Ware jederzeit zurückgeben.»
Dass mich der Spruch aufregte, war meiner Tochter Beweis meiner Altbackenheit. Meiner generellen Humorlosigkeit. Sie sagte: «Du kapierst es einfach nicht. So reden wir nun mal miteinander.» Ich sage: Das ist es ja, was mich besorgt. Mein Stiefvater redet seit je so mit meiner Mutter. Er nennt sie, die von jeher schwer übergewichtig ist, Speckmaus. Er stichelte, als sie vor Jahren von einem Pelzmantel träumte: «Du lieber Gott! Darin sähst du aus wie ein Teddybär!» Er witzelte, als sie von einem Schminkkurs kam: «Wie ein Clown!» Er nennt sie Mädchen. Ist das liebevoll? Ist es lustig? Oder ist es der feige verhüllte Ausdruck einer Verachtung, die man für jemanden fühlt? Ein Gift, das, verabreicht in nahezu unauffälligen Dosen, über die Dauer nahezu ebenso unauffällig seine Wirkung tut. Meine Mutter schiesst zurück, das ist wahr. Macht das ihren Umgang miteinander besser?
Na klar, was geht es mich an, welche Ehe meine Mutter führt. Ich habe mich so wenig in sie einzumischen wie in die Beziehung meiner Tochter. Aber: Stumm dabeisitzen, wenn der Tochterfreund seine Witze macht, muss ich das auch? Wenn dieser Mann, der so viel älter als meine Tochter ist, ihr in Jahren so weit überlegen, sich auf ihre Kosten lustig macht, bin ich, die Gleichaltrige, die ihm in Jahren Gewachsene, nicht verpflichtet, dem entgegenzutreten? Oder es doch wenigstens zu versuchen? Ich fragte das meine Tochter. Sie schnaubte und rollte die Augen. Und ich frage mich: Hat mich die Ehe meiner Eltern übertrieben sensibel gemacht? Oder verlieh sie mir im Gegenteil ein angemessenes Gespür? Natürlich brächte meine Tochter ihren Freund gern mit nachhause.Ich versuche, mir vorzustellen, wie das sein wird. Wie wir am Tisch sitzen, sie, er und ich. Zwei Mittvierziger und meine junge Tochter.
«Du verstehst einfach nicht»
Wie und worüber werden wir miteinander reden? Wenn sie nicht mehr nur meine Tochter ist. Sondern die Partnerin eines Mannes in meinem Alter. Wie und über was spricht ein 45-Jähriger mit einer knapp über 20-Jährigen, die nicht seine Tochter, sondern seine Freundin ist? Ich fragte das vorsichtig meine Tochter. Sie sagte: «Du verstehst einfach nicht.» Er und sie liebten die gleiche Musik, sagte sie. Die gleichen Bücher. Die gleichen Filme. Musik, Bücher und Filme, die sie nicht kannte, bevor sie ihn kennen lernte. Sie hätten die gleichen politischen Ansichten. Sie übten die gleiche gesellschaftliche Kritik (vornehmlich an Frauen). Sie passten hervorragend zueinander. Kein Altersunterschied zu merken. Dass ich darauf schwieg, wertete meine Tochter als Arroganz.Tatsächlich machten mich ihre Erklärungen nahezu panisch vor Sorge.
Wie mache ich die angemessen laut? Dass es hier nicht nur um Geburtsdaten und Zahlen geht, wie gebe ich das meiner Tochter zu verstehen? Und wie, wenn es denn das Klügere ist, schaffe ich es, angemessen zu schweigen? Natürlich fürchte ich, dass ich klinge wie meine Mutter. Die keinen meiner Freunde und Männer je passend fand. Die keinen von ihnen mochte. Auch dann schon nicht, als sie sie noch gar nicht kannte. Sie mochte nicht mal die beiden, die, noch mit der Distanz von dreissig Jahren betrachtet, unbedingt mögenswert waren. Am allerwenigsten, glaube ich, mochte sie diese zwei. Jedenfalls waren sie die Einzigen, denen gegenüber meine Mutter ihre Missbilligung offen zeigte. Ich versuche heute noch, das zu verstehen. Und ich versuche auch zu verstehen, warum sie den anderen, den längst zugegeben Nichtmögenswerten gegenüber stets freundlich war. Weil sie es selbst nicht anders kannte und besser wusste? Oder war es, wie sie heute sagt, eine Notwendigkeit, um den Frieden zu wahren?
Bestärkte es nicht jene Männer in ihrem Verhalten und mich in der falschen Annahme, dass es normal oder wenigstens tolerabel war. Dass ich es nicht besser verdiente. Als meine Tochter und ihr Freund im vergangenen Jahr auf Weltreise gingen, hörte ich vier Monate kaum von meiner Tochter. Ich meinerseits rief nur selten an. Es ist schwer genug, gegenüber den eigenen Kindern, den Töchtern vor allem, die Balance zwischen Sorge, Sehnsucht und Ziehenlassen zu wahren. In der gegebenen Situation fand ich es fast unmöglich. Als ich mich überzeugt hatte, es sei okay, mal nach dem Fortgang der Reise und dem Befinden zu fragen, ging sie nicht ans Telefon. Über drei Wochen nicht. Über drei Wochen kein Eintrag, kein Foto von der Weltreisenden auf Facebook, das ja der Gradmesser des gelebten Lebens ist. Dann, endlich, meldete sich am anderen Ende der Leitung ihre Stimme. Sie sagte, oh, sorry, der Freund verwalte das Telefon. «Musst dich nicht sorgen.» Ich dachte, wieder einmal: Eben deshalb, und wie! Dass ich es nicht mehr sagte, empfand ich als Verrat.