Body & Soul
Anarchos im Pelzmantel: Warum wir Katzen trotz ihrer Macken lieben
- Text: Claudia Senn; Foto: SXC
Katzen halten sich an keine Regeln: Sie zerkratzen die Möbel und pinkeln beleidigt auf Frauchens Bett. Warum holen wir uns die kleinen Tyrannen freiwillig ins Haus?
Unsere erste Katze war ein schnuckeliges kleines Ding mit einer erschreckenden Anzahl schlechter Angewohnheiten. Wegen ihres grauen Fells nannten wir sie Lupina, Wölfchen. Mundraub war ihr grosses Hobby. Lupina stahl uns nicht nur den Lammgigot vom Tisch, wenn wir den Fehler machten, uns für einen Augenblick umzudrehen. Kaltblütig plünderte sie auch die Küchen der Nachbarschaft. Einmal erwischte ich sie dabei, wie sie von draussen ein rohes Fischfilet durch ihr Katzentürchen zerrte, fixfertig zum Braten gewürzt. Irgendwer wird an diesem Abend wohl hungrig ins Bett gegangen sein.
Der Hang zum Ekligen
Gewöhnungsbedürftig auch ihr bizarrer Hang zum Ekligen. Wasser trank sie niemals aus dem Napf, sondern nur aus der Toilette. Eine besondere Vorliebe hegte sie für benutzte Wattestäbchen, an denen sie schnüffelte, als handle es sich beim daran haftenden Ohrenschmalz um eine psychedelische Droge, die sie in höchstes Entzücken versetzt. Unvergesslich auch der entsetzte Schrei meiner Grosstante Birgit, der eines Abends aus unserer Gästetoilette drang. Der Fussboden war übersät mit in blutige Fetzen gerissenen Tampons. Mittendrin unser Büsi mit vom Blutrausch geweiteten Pupillen. Ein Wunder, dass die Verwandtschaft überhaupt noch mit uns spricht.
Sie glauben, es handle sich hier um einen Extremfall? Schön wärs. Mit der Samtpfote holt man sich die Anarchie ins Haus, das bestätigt auch eine kurze Umfrage in der Redaktion. Den Pyjamafetischismus von Herrn Häsli zum Beispiel, der WG-Katze von Beauty-Praktikantin Karin, kann man ja noch als süsse Marotte durchgehen lassen. Das Nachtgewand von Frauchen versteckt er jeweils im Katzenklo. Bei Sirius jedoch, dem Kater von Buchhalterin Vivian, ist definitiv Schluss mit lustig.
Das Gekreische traumatisiert
Das edle Rassetier verfügt über ein so grauenvolles Stimmorgan, dass unsere Buchhalterin den Tierarzt für die alljährlichen Impfungen nachhause bestellen muss. In der Praxis könnten die anderen Tiere und ihre Menschen von seinem Gekreische traumatisiert werden. Logisch, dass Sirius so gut wie immer bekommt, was er will. Die Gefahr, dass die Nachbarn die Polizei holen, wenn er erst mal losplärrt, ist einfach zu gross. Sein empörtes Miauen klinge, sagt Vivian, «als ob jemand abgestochen wird».
Auch Tamasha, die Gefährtin von Sirius, kann neurosenmässig locker mit ihm mithalten. In ihrer durch nichts zu mässigenden Gier verschlang sie kürzlich eine Spielzeugmaus. Nur eine Operation konnte sie retten. Kostenpunkt: 1500 Franken. Die ganz krassen Fälle findet man in Katzenfäöbgfrlkjhzvfrereredsaaaaaaaa… ups, pardon, das war Joschi, mein aktueller Kater, der auf die Tastatur gehüpft ist – das ist seine Art, mir mitzuteilen, dass nun unverzüglich das Abendessen serviert werden soll. Wenn Sie mich also bitte kurz entschuldigen …
Dosenöffner kurz vor dem Nervenzusammenbruch
Wo war ich? Ach ja, die ganz krassen Fälle findet man in Katzenforen, wo sich die Teilnehmer schicksalsergeben Dosis nennen, von Dosenöffner. Sie betrachten sich als Sklaven ihres Büsis, deren einzige Funktion es ist, die Katzenfutterbüchse zu öffnen, wenn der flauschige Despot mal wieder Hunger hat. Miezenfreunde am Rande des Nervenzusammenbruchs stellen hier Fragen wie «Gibt es Katzen mit Borderlinesyndrom?» oder «Wie erkennt man bei Katzen eine geistige Behinderung?». Insgesamt hält jeder zweite Katzenbesitzer sein Büsi für nicht ganz dicht. Das ergab eine Studie der Münchner Ludwig-Maximilian Universität.
Doch längst nicht jede verrückte Katze hat tatsächlich eine Meise. Nur bei einer von dreizehn lässt sich eine psychische Störung diagnostizieren. Die anderen sind, was Katzen eben sind: Diven im Pelzmantel, die rücksichtslos ihren Willen durchsetzen. Respektiert Frauchen diese naturgegebene Hierarchie nicht, pinkeln sie zur Strafe in deren Louboutins.
1.4 Millionen Büsi in der Schweiz
Warum tun wir uns das an? Weshalb holt sich jeder vierte Schweizer Haushalt freiwillig einen solchen Tyrannen in die Wohnung? 1.4 Millionen Büsi bevölkern mittlerweile das Land. 295 Millionen Franken geben wir jährlich für sie aus. Es gibt Perlenketten für Katzen, Louis-XVI-Sofas im Bonsai-Format und Hutläden, in denen man coole Schiebermützen und dämliche Mini-Sombreros kaufen kann (obwohl Katzen die höchstens tragen würden, wenn man sie zuvor mit Valium sediert). Und während die herkömmliche Samtpfote früher mit Mäusen zufrieden war, servieren wir ihr heute Thunfischfilet mit Tigercrevetten in Sulz. (Thommy selig, der Kater von annabelle-Redaktorin Helene, bevorzugte allerdings Pommes Chips und Caramelito-Glace von Mövenpick, die Caramelstückchen blieben jeweils sauber abgeleckt im Napf zurück.)
Natürlich, Katzen sind süss, von hinten sehen manche aus wie Teddybären. Doch hauptsächlich ist es ihre Unabhängigkeit, die uns zu ihnen hinzieht. Im Grunde genommen sind sie so, wie wir selbst gern wären: freiheitsliebend, aber trotzdem gesellig. Freundlich, solange man ihnen den gebührenden Respekt entgegenbringt. Sie können grosse Komikerinnen sein und lautstark ihre Bedürfnisse einfordern. Und wenn ihnen jemand dumm kommt, kacken sie ihm einfach aufs Bett. Wäre es manchmal nicht wunderschön, eine Katze zu sein? So ehrlich, so direkt, so ganz ohne falsche Hemmungen?
Zuneigung bekommt man geschenkt
Frauen kommen besser mit ihnen klar als Männer. Angeblich liegt das daran, dass sie eher akzeptieren können, wenn sich jemand nicht von ihnen herumkommandieren lässt. Frauen wissen auch, dass man eine ganze Menge lernen kann von so einem Büsi. Zum Beispiel, dass man Zuneigung nicht erzwingen darf, sondern mit viel Glück geschenkt bekommt. Deshalb ist annabelle-Verlagsassistentin Melanie auch nicht sauer, sondern entzückt, wenn sie sonntagmorgens um sieben von ihren Katzenjungs Pippo und Pato geweckt wird. Pippo klopft dann sachte mit seiner Pfote an ihre Wange, und Pato knabbert zart an ihrem Zeh.
Katzen zu streicheln, senkt nachweislich den Blutdruck, und ihr Schnurren lässt Knochenbrüche schneller heilen, das ist wissenschaftlich belegt. Physiotherapeuten versuchen sogar, die Schnurrfrequenz mit Apparaten zu imitieren. Dass die Flauschis zudem antidepressiv wirken, leuchtet jedem Katzenhalter sofort ein, auch ohne ärztlich begleitete Doppelblindstudie. «Sie sind einfach Wonneklösschen», sagt Vivian, das Frauchen von Kreisch-Sirius und Gierschlund-Tamasha. Einmal musste sie sich zwischen einer Katze und einem Mann entscheiden, der etwas gegen die Katze hatte. Selbstverständlich nahm sie die Katze.
Man liebt die Macken
Lupina, der Tampon-Fan, starb mit zwei Jahren einen brutalen Tod auf der Strasse. Ich war so traurig, dass ich schon befürchtete, nie mehr froh zu werden. Die Nachbarskinder schmückten ihr Grab mit Blumen und tränenverschmierten Briefchen, in denen stand, Lupina sei «das herzigste Büsi auf der ganzen Welt». Sie alle wussten über ihre Marotten Bescheid. Aber so ist das eben mit der grossen Liebe. Man liebt nicht das Perfekte, Fehlerfreie, Unkomplizierte. Man liebt die Macken, das Ungebändigte und ein bisschen Verrückte. Das gilt für Katzen genauso wie für Männer.