Body & Soul
Alltagsdrama: «Ich habe den Hund meiner Tochter überfahren»
- Text: Antje JoelIllustration: Lisa Rock
Sieben kleine Hunde, einer davon kaputt: Ein Familien-GAU ist, wenn eine Mutter den Hund ihrer Tochter überfährt.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Unsere Autorin ist sehr kinder- und tierliebend. Hier die Geschichte ihres Familien-GAUs.
Ich habe Pepper kaputt gemacht. Ich bin über den Hund meiner zweitältesten Tochter gefahren, nicht absichtlich natürlich, aber was ändert das schon. Wir waren mit Auto und Anhänger unterwegs, bei Freunden, hatten auf ihrem Rasen parkiert, der Hund musste unter dem Auto gelegen haben, als ich anfuhr. Nur ein Stück weit. Nur bis zum nächsten Grashaufen, um ihn auf den Hänger zu laden.
Etwas quietschte. Ich dachte: Der Anhänger. Dass es der Hund war, verstand ich erst, als ich meine Töchter «Pepper! Pepper!» schreien hörte. Als ich, durch das Autofenster wie aus einer Welt in die andere starrend, die weit aufgerissenen Augen der Töchter und ihre vor Schreck und Schmerz verzerrten Gesichter sah. Als ich Zeuge wurde, wie sie ihre Rechen weit von sich warfen und in eine entfernte Ecke des Gartens rannten. Wo sie dann standen und schrien. Ich öffnete die Autotür, schwang meine Beine hinaus, ich fühlte kaum meine Füsse auf dem Boden aufsetzen. Steifbeinig stieg ich aus, ging um das Auto. Wo war der Hund?
Er kam neben dem linken Hinterrad hervor, weinend, geduckt, den Schwanz zwischen die Hinterbeine geklemmt. Sein weisses Fell war schmutzbefleckt. Ich dachte: Pneuspuren! Und dass er das nie und nimmer überleben würde. Und dass er, der eigentlich eine Sie ist, doch die Welpen hat, gerade mal acht Tage alt, und wie wir die gross kriegen sollen, wenn Pepper jetzt stirbt. Sie ist so klein, eigentlich winzig, keine Chance, dass ein so winziger Hund überlebt, wenn ein Auto über ihn rollt.
Fledermaushafte Ohren an einem winzigen Hund
Als Pepper mit acht Wochen zu uns kam, war sie nicht grösser als ein Katzenkind im gleichen Alter. Wir wollten sie für einen Jack Russell halten, sie blieb viel kleiner. Ihre Nase wurde viel spitzer. Ihre Augen wurden viel grösser und runder. Meine Tochter wollte ihr gern den Schwanz auf ein Stummelchen kürzen lassen, manchmal macht man das bei Jack Russells so. Ich sagte: «Ich weiss nicht, dann ist sie doch nicht mehr Pepper.» Meine Tochter überlegte. Sagte: Dann eben nicht. Fragte: Oder doch? Sagte: Nein, vielleicht nicht, oder?
Schliesslich war Pepper zu alt für eine solche Verstümmelung. Und ihr Schwanz wuchs. Er wuchs noch lange nachdem Pepper selbst aufgehört hatte zu wachsen. Ihre Ohren blieben nicht hängend, wie meine Tochter gehofft hatte, sondern stellten sich auf. Erst das linke, dann das rechte. Dann hingen sie für kurze Zeit wieder herunter. Dann standen sie endgültig. Riesige, fledermaushafte Ohren an einem winzigen Hund. Beinahe hätte meine Tochter geweint. Sie hatte einen Jack Russell gewollt. Jetzt hatte sie einen sehr kleinen Hund mit langem Kringelschwanz, riesigen Knopfaugen und lächerlich grossen Ohren.
Pepper ist vielleicht keine Schönheit – aber für uns ist sie es irgendwie doch. Als winziger weisser Welpe mit weiss-schwarz-braunem Gesicht war sie ein Hingucker. Daran hat sich nichts geändert. Manchmal drückten Passanten ihre Begeisterung über diesen in jeder Hinsicht drolligen Hund in einer Summe aus, die sie meiner Tochter anboten und sie damit in Versuchung führten. 500 Euro war das höchste Gebot. Meine Tochter, Tränen in den Augen, schüttelte stumm den Kopf und presste ihr Hündchen an sich. Wie einer, der, auf einer Brücke stehend, der lockenden Tiefe nur widersteht, indem er sich ans Geländer krallt.
Sieben kleine Hunde, einer davon kaputt.
Im vergangenen Winter fand der Hundewart, der in unserer Gegend die herrenlosen Streuner einsammelt, einen jungen Jack Russell und bat uns händeringend, ihn aufzunehmen. Als meine Tochter einen Blick in das Hundewart-Auto warf, hätte sie um ein Haar mal wieder geweint. Da sass ein derber, drahthaariger Schlawiner auf nicht ganz so kurzen Beinen, mit frechem Gesicht und Hängeohren. Er sah aus wie der Hund, den sie sich immer gewünscht hatte. Beinahe war sie bereit, Pepper gegen ihn zu tauschen. Wir behielten beide. Der Hundewart versprach, er käme schon bald mit einem Gutschein für eine Tierarztbehandlung zurück, damit könnten wir den Schlawiner kastrieren lassen. Unbedingt!, sagte ich. Wir hörten nie wieder von ihm. Jetzt haben wir sieben kleine Hunde. Einer von ihnen kaputt.
Ich strich mit den Fingerspitzen über Peppers pneubeschmutzes Fell. Sie duckte sich und weinte. Als sie sich von mir weg- und wieder zu mir hin drehte, sah ich, dass sie hinkte. Und im nächsten Moment, dass ihr linkes Hinterbein von knapp oberhalb des Gelenks in einem skurrilen Winkel herunterhing. Man musste nicht Tiermedizin studiert haben, um zu erkennen, wie übel es gebrochen war.
Ich lud den Hund und die Töchter ins Auto. Beim Tierarzt warteten wir eine knappe Stunde, erst musste er einer Katze den Bauch aufschneiden und wieder zusammennähen. Schliesslich hob er Pepper auf seinen Untersuchungstisch. Seine Assistentin sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als sie das Hinterbein sah. Der Tierarzt fragte, ob sie den Bruch befühlen wolle, sie schüttelte entschieden den Kopf. Zu uns sagte er: «Das wächst wieder zusammen. Nicht gerade, ein bisschen verdreht, sie wird hinken, aber auf dem Bein laufen können.» Er sagte, er werde das Bein schienen, mehr sei nicht zu machen. Er sagte: «Sie können natürlich eine zweite Meinung einholen. Orthopädische Tierklinik. Die schrauben den Knochen möglicherweise wieder zusammen, kostet rund 1000 Euro. Haben Sie eine Tierversicherung?» Hatte ich nicht.
Eine Schiene aus Magnum-Glace-Stielen
Er gab Pepper eine Spritze gegen die Schmerzen, nahm eine Bandage und zwei Magnum-Glace-Stiele aus einer Box, legte einen Stiel links des Knochens an Peppers Bein an, den anderen rechts, umwickelte alles mit der Bandage, klebte das Ende mit schwarzem Isolierband fest, setzte Pepper auf den Boden und sagte: «20 Euro.» Die Note schob er in seine Hosentasche. Peppers Bein mit der Bandage und dem Isolierband darum hing seltsam verdreht herunter.
Vor Jahren hatten wir einmal einen Welpen mit einem so gebrochenen Hinterbein, er musste eingeschläfert werden. Ich sah meinen Töchtern an, dass auch sie an ihn dachten. «Ausgeschlossen», sagte der Tierarzt. «Daran stirbt sie nicht.» Ich wollte ihm gern glauben. Der Tierarzt ist ein alter Hase und geniesst einen guten Ruf. Und obwohl wir hier in Irland sind und ich weiss, dass Irland ein Farmerland ist und jede Behandlung, die billig ist, gut, wollte ich ihm glauben. Ich wollte ihm glauben, dass Peppers Bein wieder zusammenwächst, wenn auch verdreht. Ich wollte ihm glauben, dass sie irgendwann wieder auf vier Beinen würde laufen können, wenn auch hinkend. Ich wollte, dass alles gut würde. Wollte mich nicht so schuldig und hoffnungslos fühlen müssen. Das wollen wir doch alle.
Er gab uns Tabletten gegen die Schmerzen mit. Das alles wirkte, mehr oder weniger, bis zum nächsten Morgen. Pepper wollte nicht stehen, nicht hüpfen, nicht pinkeln gehen. Hoben wir sie aus dem Korb, in dem sie mit ihren Welpen lag, und stellten sie in den Garten ins Gras, legte sie sich hin. Sie sah, trotz Tabletten, erbärmlich aus. Das halbherzig geschiente und bandagierte Hundebein hing in einer Art und Weise herunter, dass ich nicht anders konnte, als zu denken: nie und nimmer!
Kein Grund zu mehr Hoffnung
Ich rief eine Tierärztin im anderthalb Autostunden entfernten Glenamaddy an, von der ich keine Ahnung habe, welchen Ruf sie geniesst. Von der ich nicht viel mehr wusste als: Sie ist Deutsche. Das reichte. Vielleicht politisch nicht ganz korrekt, so ein Gefühl. Aber menschlich. Sie sagte: «Komm her, ich mache einen Gips drum.» Als sie die Bandage abnahm und das Bein sah, schüttelte sie den Kopf.
Sie fragte: «Kann ich röntgen?» Die Bilder gaben keinen Grund zu mehr Hoffnung, im Gegenteil. «Der Knochen ist kompliziert gebrochen. Das hält nicht, das verschiebt sich immer wieder, die Bruchstellen sind scharfe Spitzen, die stechen irgendwann durch die Haut, dann hast du da eine Entzündung.» Weil ich wusste, was sie empfehlen würde, wollte ich es nicht hören. «Kommt morgen früh wieder, und wir nehmen das Bein ab.» Während der anderthalb Stunden Fahrt nachhause sprach meine Tochter nicht. Sie streichelte den Hund. Und als ich kurz aus dem Auto stieg, sah ich beim Wiederkommen, dass sie geweint hatte.
Ich fürchtete mich vor dem Morgen. Vor der Endgültigkeit einer Amputation. Ich dachte: Auf drei Beinen wird der Hund eine ewige Anklage sein – du hast ihn kaputt gemacht! Ich dachte, 1000 Euro retten sein Bein und kaufen dich frei! Und daran, dass ich diese 1000 Euro nicht hatte. Ich verbrachte die Nacht im Internet. Ich tippte «dog leg broken» in die Suchmaschine. Auf einer US-Site für Hundeliebhaber schlugen sie sich wegen des Themas verbal die Köpfe ein. Allein dass einer hier überlegte, wie teuer die Reparatur seines kaputten Hundes mit Schrauben und Platten wohl sei, trieb die anderen Websitebenutzer zu Grossbuchstaben und Ausrufezeichen.
Menschenzahn oder Hundebein
«Das ist doch EGAL, wie teuer es ist! Es ist DEIN Hund, und du MUSST das machen lassen!» – «Wie würdest DU dich fühlen, wenn DEIN Bein gebrochen wäre und DEINE Behandlung davon abhängig gemacht wird, wie TEUER sie ist?!!!» – «Wer nicht das Geld hat, seinen Hund OPERIEREN zu lassen, darf ÜBERHAUPT keinen Hund HABEN!»
Mir wurde schwindlig. Und auch etwas übel. Und ich dachte an meine andere, erwachsene Tochter, die sich am Samstag zuvor einen Zahn hatte ziehen lassen müssen, weil die Wurzelbehandlung 1500 Euro gekostet hätte. Die sie nicht hatte. Und ich fragte mich, ob einen Zahn zu verlieren weniger schlimm ist als ein Bein. Und ich dachte: Na klar! Aber galt das auch noch, wenn es sich beim Zahn um einen Menschenzahn handelte und beim Bein um ein Hundebein? Es gibt so wenig Klarheit auf der Welt, so wenig Schwarz und Weiss. Es steht im wirklichen Leben so wenig in Grossbuchstaben.
Pepper hat noch drei Beine und einen Stummel. Sie ist wieder ganz die Alte. Sie war es von dem Augenblick an, in dem das Bein und mit ihm der Schmerz abgetrennt war. Ohne Amputation, sagte die Tierärztin, wäre Pepper wahrscheinlich gestorben. Und ob Schrauben im dünnen Knochen gehalten hätten, sei zweifelhaft. Die Naht ist so gut wie verheilt, das Haar auf dem Stummel wächst nach. Wenn wir ihren Ball werfen, rast der kleine Hund hinterher, auf drei Beinen. Pepper dreht sich, sie springt, sie rennt die Treppen auf und ab. Ihre Welpen sind ansehnlich rund und haben vor ein paar Tagen erstmals die Augen geöffnet.
Meine Tochter sagt: «Jetzt kann ich Pepper nie mehr verkaufen, wer nimmt schon einen kaputten Hund?» Sie sagt, diese Aussichtslosigkeit mache sie wahnsinnig froh. Fast möchte ich schreiben: Alles ist gut. Aber dann, fürchte ich, schicken die Leser Briefe in Grossbuchstaben.