Liebe & Sex
Alles über Sex und Romantik – Paartherapeuten Doris Christinger und Peter A. Schröter
- Interview: Franziska K. Müller; Fotos: Gian Paul Lozza
Auf der Couch beim Paartherapeutenpaar Doris Christinger und Peter A. Schröter. Ein Interview über das Alleinsein, fehlenden Sex in der Beziehung und Kommunikation.
Sie wissen alles über Sex und Romantik: Auf der Couch beim Paartherapeutenpaar Doris Christinger und Peter A. Schröter.
annabelle: In der Schweiz wird wieder häufiger geheiratet. Woher stammt unser Ideal der romantischen Liebe?
Peter A. Schröter: Es hat mit der uralten Sehnsucht nach Verschmelzung zu tun, die man bereits in der Antike kannte. Dem sexuell freizügigen Mittelalter schob die katholische Kirche den Riegel vor, indem sie die Ehe zum Sakrament erhob und die Verehrung des Femininen mit dem Marienkult in edle, keusche und damit kontrollierbare Bahnen lenkte. Unter dem Einfluss der Romantik um 1800 wurde die Liebes-Ehe das Ideal des Bürgertums. Die Essenz dieses Liebesideals ist eine Überhöhung beider Beziehungspartner, die unweigerlich zu unrealistischen Erwartungen führt. Trotzdem hat sie die Emanzipation überdauert und bleibt auch im 21. Jahrhundert eine Leidensgeschichte.
Wieso diese Sehnsucht?
Doris Christinger: Weil wir nicht bereit sind, uns von Träumen und Idealvorstellungen zu verabschieden. Vor allem aber bringen wir verschiedene Ebenen durcheinander. Wir verwechseln Idealisieren mit Lieben, Sex mit Beziehung und sind überzeugt, dass wir ewig glücklich sind, wenn wir nur den Richtigen oder die Richtige finden. Zudem machen wir uns etwas vor, wenn wir glauben, die alten Rollenmuster gehörten der Vergangenheit an. Spätestens in Stresssituationen fühlen sich auch die meisten urbanen Männer und Frauen zwischen den neuen und den alten Lebensentwürfen hin- und hergerissen.
Die Probleme beginnen oft schon mit der Partnersuche. Trotz Speed-Dating und Internetplattformen bleiben viele tolle Frauen allein.
Schröter: Erfolgreiche, gut verdienende Frauen wissen, was sie wollen, und setzen es auch um. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sie nichts dem Zufall überlassen. Doch das Sich-Kennen-Lernen, egal wie orchestriert es stattfindet, birgt Unsicherheiten, denen man sich nur schlecht entziehen kann.
Wie reagieren die Männer?
Sie sind verunsichert. Einerseits müssen sie bezüglich Haus, Job, Auto und Aussehen gewissen Ansprüchen genügen, gleichzeitig machen sie die Erfahrung, dass die Frauen sie nicht mehr brauchen. Überspitzt formuliert: Statt einen Beschützer zu suchen, haben die Frauen einen Pfefferspray in der Tasche. Und für die Zeugung eines Kindes gibts die Samenbank.
Die Psychologin Julia Peirano schrieb mit «Der geheime Code der Liebe» einen Bestseller. Darin sollen die Leser mit der Beantwortung von über 500 Fragen ihr Beziehungs-Ich entdecken und einen Partner finden, mit dem sie «garantiert» glücklich werden. Was halten Sie von solchen Absicherungsstrategien?
Christinger: Es gibt weder eine Pille noch eine Versicherung für eine glückliche Partnerschaft. Solche Ansätze basieren auf der Suche nach einer möglichst grossen Übereinkunft zwischen den Partnern. Es ist tatsächlich so, dass Paare, die ähnlich funktionieren und ähnliche Lebensentwürfe teilen, statistisch betrachtet eine grössere Chance haben, eine dauerhafte Partnerschaft zu führen. Allerdings stellt sich bei solchen Tests immer auch die Frage, was man mit dem Ergebnis anstellt, wenn es negativ ausfällt. Verabschiedet man sich dann postwendend von der neuen Flamme? Wohl kaum. Die meisten verliebten Paare hoffen – wie in jedem Liebesfilm – auf das grosse Glück.
Also doch lieber der Intuition vertrauen?
Das wäre gut. Denn es ist so, dass alle Themen, die sich bereits am Anfang einer Beziehung zeigen, nicht einfach verschwinden. Im Gegenteil: Meist treten sie in späteren Jahren noch deutlicher auf. Wir sind der Meinung, dass man den feinen negativen Gefühlen, die man in der Verliebtheit so gern unter den Tisch wischt, mehr Beachtung schenken sollte.
Welche Themen sorgen in der Partnerschaft am häufigsten für Probleme?
Schröter: Der Alltag, Sex, Geld, Kommunikation. Natürlich nicht zwingend in dieser Reihenfolge.
Hilfe versprechen sich viele bei der Paartherapie, besonders Gesprächstherapien sind sehr populär. Der amerikanische Psychologe John Gottman hält das Reden und Verhandeln jedoch für Unsinn. Hat er recht?
Christinger: Gottman vertritt den Grundsatz, dass sich die Gesprächskultur und die Verhandlungsstrategien nur vorübergehend – eben mithilfe des Therapeuten – verbessern und Paare über kurz oder lang in alte Muster zurückfallen. Das heisst aber nicht, dass er der Kommunikation nicht einen grossen Stellenwert beimisst. Verhandeln finden wir grundsätzlich eine gute Sache. Vor allem, wenn es darum geht, Wünsche und Forderungen zu formulieren mit dem Ziel der Gleichwertigkeit.
Gottmans Forschung besagt: Zufrieden verheiratete Paare sind nicht klüger oder reicher als andere, aber sie haben eine Dynamik entwickelt, die verhindert, dass negative Gefühle die positiven überdecken. Sind das Glücksfälle?
Schröter: Die von der emotionalen Intelligenz getragene Ehe ist sicher eine schöne Sache, aber eher die Ausnahme. Unsere Erfahrungen zeigen, dass Männer und Frauen intellektuell unglaublich viel über sich selbst und die Partnerschaft wissen. Manche haben eine Psychoanalyse gemacht und wissen nicht nur exakt, was sie fühlen und was schief geht, sondern können das auch formulieren. Doch auf der Handlungsebene ändert sich wenig, weil Veränderung nur unter Einbezug der Körper- und Energieebene stattfindet. Dort machen Menschen eine direkte Erfahrung, die sich dann positiv auf ihr Verhalten auswirkt.
Ohne Sex keine funktionierende Beziehung?
Christinger: So drastisch würden wir es nicht formulieren. Der sexuelle Bereich ist heute überbewertet und von Vorstellungen geprägt, die nicht realistisch sind. Andererseits: Wie die Partner körperlich miteinander umgehen, was sie in diesem Bereich vermissen und fordern, sagt viel über den übrigen Beziehungsalltag aus. Viele Paare kennen ausgedehnte und regelmässige Abstinenzphasen. Natürlich kann man auch ohne Sex leben. Aber oft fehlt dann der Glanz in der Partnerschaft.
Warum gehen Menschen eine Beziehung ein, obwohl es im Bett von Anfang an nicht stimmt?
Einerseits die Angst vor der Sexualität aufgrund von negativen Erfahrungen, andererseits die Hoffnung, dass es irgendwann besser wird. Doch ist der Sex schon zu Beginn schlecht, so verlangt es viel Knochenarbeit, dies zu ändern.
Der Mann möchte meistens mehr und die Frau weniger.
Schröter: Früher mag das so gewesen sein, doch mit der Emanzipationsbewegung hat sich das geändert. Frauen sind genauso interessiert an Sex wie Männer. Für denjenigen, der weniger will, ist meist die Qualität der Sexualität nicht optimal. Erstaunlich ist die Tatsache, dass Frauen oft Schwierigkeiten haben, über ihre Wünsche und Fantasien zu reden.
Warum?
Christinger: Weil sie selbst nicht genau wissen, was sie wollen.
Wo bleibt das neue sexuelle Selbstbewusstsein der Frauen?
Schröter: Dabei handelt es sich oft um einen Trugschluss. Ein Beispiel: In unserer Praxis melden sich vermehrt 20-Jährige, die sich an pornografischem Material orientieren und alles über SM-Praktiken und Analsex wissen. Gleichzeitig fehlt ihnen aber der ganze Erfahrungsbogen von Sexualität, Beziehung, Liebe, Identität. Zum einen ist das in diesem Alter noch gar nicht möglich. Zum anderen konnten ihnen das ihre emanzipierten Mütter aber auch nicht vermitteln, weil sie ihre Töchter für ganz andere Belange sensibilisierten als für die weibliche Seite der Sexualität.
Inwiefern wurde die Lust mit den Errungenschaften der Emanzipation besiegt, wie Sie in Ihrem neuesten Buch schreiben?
Christinger: Die Grenzen zwischen den Geschlechtern wurden mit der Emanzipation verwischt, die Spannung zwischen Männern und Frauen neutralisiert. Die Folgen für Sexualität, Lust und Leidenschaft sind verheerend. Maskuline Frauen wissen nicht mehr, was Hingabe in all ihren Facetten bedeutet. Vor allem aber wissen verweiblichte Männer nicht mehr, wie man eine Frau erobert, oder anders gesagt: überwältigt. Wenn die Sexualität in einer Beziehung nicht zu den archetypischen Energien beider Geschlechter zurückfindet, wird sich der Mann von der Frau manipulieren und die Frau vom Mann dominieren lassen.
Was genau meinen Sie mit überwältigen?
Schröter: Natürlich geht es niemals darum, der Frau etwas aufzuzwingen. Aber der Mann muss nach dem romantischen Candlelight-Dinner und der Nackenmassage auch nicht dreimal fragen, ob es ihr jetzt vielleicht recht wäre oder doch lieber nicht. Die meisten Paare reagieren erleichtert, wenn wir sagen, dass der Mann aktiv führen soll. Wenn er den Mut hat, seine Frau bewusst mitzureissen und sie seine Liebe spürt, kann sie sich hingeben. Wenn er das nicht übernimmt, kann sie ihre Kontrolle niemals loslassen. Akzeptieren wir die feminine Hingabe und die maskuline Stärke als Basis sexuellen Erlebens, dann steht der Leidenschaft und den vielen Spielarten der Sexualität oft nichts mehr im Weg, weil die Basis stimmt.
Als Grund der Malaise im Schlafzimmer wird gern die sexuelle Freiheit genannt.
Christinger: Dass die Befreiung zur belastenden Pflicht wurde, stimmt. Wir sind allerdings der Meinung, dass diese Freiheit Gutes bringen kann, wenn man den Willen und den Mut findet, sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Und wenn nicht?
Schröter: Dann gibt es auch nichts gegen eine geregelte und normierte Sexualität einzuwenden. In einer lang dauernden Beziehung übermannt einen die Leidenschaft nicht mehr so oft, wenn man einander ständig sieht. Die Sexualität kann organisiert werden, indem man etwa entsprechende Liebesabende dafür festlegt und diese dann auch einhält.
Bleibt also die ernüchternde Erkenntnis: weniger Romantik, mehr Vernunft und Realismus?
Christinger: So ist es. Wenn man sich von seinen inneren Sehnsüchten nicht verabschieden kann, wenn man den anderen nach der Verliebtheitsphase nicht sehen will, wie er tatsächlich ist, wird die Beziehung scheitern. Der Mann verliebt sich in die wunderbarste Frau der Welt und will, dass diese bis zum Lebensende genau gleich bleibt wie in den Anfängen der Beziehung. Die Frau verliebt sich in das Potenzial eines Mannes und unternimmt alles, damit er sich so verändert, wie sie es sich vorstellt. Das Festhalten am romantischen Ideal zeigt auch den Unwillen, dem anderen – und sich selbst – das Recht auf Entwicklung einzuräumen. Aus diesem Grund suchen so viele Männer und Frauen nach der Verliebtheitsphase einen neuen Partner: immer wieder. Sie sagen dann, die Liebe verbrauche sich, das Ende sei immer eine Frage der Zeit.
Realisten eben.
Schröter: Es stimmt nicht mit unseren Erfahrungen überein. Wenn jemand zur Liebe fähig ist und sich gegen Veränderungen in der Beziehung nicht wehrt, bleibt die Liebe erhalten.
Weibliche Sexualität, männliche Sexualität
Doris Christinger und Peter A. Schröter arbeiten seit über zwanzig Jahren als Sexual-, Paar- und Körperpsychotherapeuten mit tantrischem Schwerpunkt in Zürich. Doris Christinger schrieb den Bestseller «Auf den Schwingen weiblicher Sexualität», Peter A. Schröter «Die Kraft der männlichen Sexualität». Ihr erstes gemeinsames Buch trägt den Titel «Vom Nehmen und Genommenwerden. Für eine neue Beziehungserotik». Es erschien 2009 im Pendo-Verlag.
Seminare und Trainings: www.scpt.ch