Statt Capri: Procida
Capri hat man schon links liegen gelassen, wenn man auf der Fähre durch den Golf von Neapel schippert. Sobald man auf Procida von Bord geht, wird einem zudem klar, dass all die Menschen, die zum Abschied freudig von der Reling winken, weiterziehen – und zwar nach Ischia. So gilt: Capri für Mondäne, Ischia für die Masse – und Procida für Geniesser:innen!
Natürlich ist man auch auf Procida nicht allein unter Einheimischen. Zu pittoresk ist der Hafen mit den farbigen Häusern, die sich wie Zündholzschachteln stapeln. Die Nähe zu Neapel macht die kleine Insel zu einer Traumdestination, ihre Gassen, Klippen und Kapellen zur perfekten Kulisse für einen sommerlichen Filmklassiker wie «Der talentierte Mr. Ripley», der vor über 25 Jahren hier gedreht wurde.
Aber weil es auf Procida weder Beach Resorts noch grosse Hotels und schon gar keine 5-Sterne-Häuser gibt, einem in der einen oder anderen Bar die Pasta auf dem Plastikteller serviert wird, die Strasse rund um die Insel für Limousinen zu eng ist und die Strände wild statt etepetete sauber sind, kommt hier kein Massentourismus auf.
Im Hotel Tirreno Residence trinkt man seinen Espresso morgens in der schönen Gartenanlage mit Blick auf den Golf von Neapel. Oder man mietet ein Apartment – am besten eines mit Garten – und legt den Fisch, den man frühmorgens am Hafen direkt von den Fischer:innen gekauft hat, selbst auf den Grill. Und dann denkt man an die Fischer von Capri, «wo die rote Sonne im Meer versinkt», geniesst die Ruhe und öffnet ein Bier. – Tipp von Chefredaktorin Barbara Loop
Statt Brüssel: Gent
Meinen Freund und mich zog es im April vor zwei Jahren nach Gent, als wir nach einem Ort suchten, der gut mit dem Zug erreichbar ist, kulturell viel bietet und doch abseits der grossen Touri-Pfade liegt. Es war eine Bauchentscheidung, die sich bewährte: Die belgische Hafen- und Unistadt mit 265’000 Einwohner:innen ist ein überschaubarer wie beschaulicher Ort, in dem man den Charakter in allen Ecken brodeln spürt.
Wir schlenderten durch mittelalterliche Gassen, entdeckten Biermenüs, die Lexika gleichen, assen Waffeln und Pommes am selben Kanal, über den wir die Stadt schliesslich auch per Boot erkundeten. Wir besuchten das sehenswerte Museum Dr. Guislain, das im Gebäude der ältesten Psychiatrie Belgiens die Geschichte im Umgang mit psychischen Erkrankungen aufrollt, assen flämisch inmitten von Art-Deco-Brasserie-Charme, nach einem Stadtspaziergang hungrig und ganz spontan phänomenal indisch und tranken die vielleicht besten Cocktails unserer Lebens.
Gent ist übrigens auch ein super Ausgangspunkt für alle, die Sightseeing dann doch zu sehr juckt: In knapp 20 Zugminuten ist man im malerischen, wenn auch sehr touristischen Brügge, in gut 30 im metropolen Brüssel und in einer knappen Stunde im szenigen Antwerpen. Nötig ist so ein Abstecher nicht: Für einen Besuch der vielen Konzertvenues und des Jazz-Kellers, dessen leuchtendes Signet uns jeden Abend ein bisschen zu spät lockte, hat es in den vier Nächten, die wir in Gent verbrachten, nicht mal mehr gereicht. – Tipp von Redaktorin Melanie Biedermann
Statt Stockholm: Göteborg
Es gibt Stimmen, die sagen, dass Göteborg Stockholm längst den Rang abgelaufen hat. Denn die Stadt an der Westküste Schwedens ist gerade daran, sich neu zu erfinden: Das ganze Hafenbecken wird umgebaut, in eine Wohn- und Ausgehzone verwandelt – ein städteplanerisches Meisterwerk. Gleichzeitig steht im Vergnügungspark Liseberg die Valkyria, Europas längster Dive Coaster mit einem vertikalen Fall von 50 Metern.
Vielmehr aber noch: In Göteborg scheint es immer etwa vier Grad wärmer zu sein, als das Thermometer anzeigt. Das mag an der trockenen, salzhaltigen Luft liegen oder am Licht, das sogar bei Regen von einem diamantenen Schimmer durchzogen ist. «Västkusten är bästkusten», «Die Westküste ist die beste Küste», lautet denn auch ein geflügeltes Sprichwort, das zum Selbstverständnis der Menschen in Göteborg gehört. Und daran gibt es gar nichts zu rütteln.
Die besten Shrimp-Sandwiches, «räksmörgås», der Stadt gibt es im «Heaven 23». Das hervorragende Restaurant liegt im 23. Stock des Hotel Gothia Towers (sehr empfehlenswert: zentral gelegen, sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis). Ein Glas «Bubbel» ist Pflicht in der «Brassiere Draken» bei ebenfalls atemberaubender Aussicht im 33. Stock des Hotel Draken – erst vor Kurzem eröffnet und direkt in der Hafeneinfahrt Göteborgs gelegen, gilt es jetzt schon als neuer, hipper Treffpunkt und kulturelles Zentrum. – Tipp von Redaktorin Helene Aecherli
Statt Sylt: Amrum
An der Nordsee zu stehen, berührt mich aufs Tiefste – gleich, ob es regnet, schneit, windet oder die Sonne scheint. Die Weite, dazu das unbestechliche Grau der Wellen – toppt für mich jedes Karibiktürkis. Meine liebste Insel an der Nordsee ist die Ökoschwester des poshen Sylt: Amrum. Unaufgeregt, bodenständig, familienfreundlich. Ohne die Tonnen an anreisenden Medienmenschen und Immobilienmakler:innen aus dem nahe gelegenen Hamburg.
Hier spaziert man ungeschminkt am Strand, den piksigen Kniepsand an den bestenfalls nackten Waden. Ordentlich durchgepustet, ist ein Besuch in der familiengeführten Bäckerei «Café Schult» obligatorisch. Friesentorte zu einem Kännchen Schwarztee mit knackendem Kandis und die Welt ist für einen kleinen Moment vollkommen.
Mein Lieblingsort auf diesem schleswig-holsteinischen Eiland heisst «Nebel». Hier tragen die Backsteinhäuser mit Reetdach gerne noch Rüschengardine vor den Butzenfenstern und die Zeit scheint aufs Beste stehen geblieben zu sein. Wer hier kein Fremdenzimmer erwischt, der versuche es in Norddorf im gemütlichen «Ual Öömrang Wiartshüs». – Tipp von Redaktorin Sarah Lau
Statt Amsterdam: Haarlem
Statt sich in Amsterdam inmitten einer Menschenmasse über hübsche Grachten-Brücken schieben lassen zu müssen, könnte man in Haarlem mit ausgestreckten Armen drübertanzen. Sprich: Man hat Platz. Und Ruhe. Und spürt ihn hier, den entspannten Vibe, den viele in der 15 Minuten entfernten Hauptstadt suchen.
In Haarlem ist alles ein bisschen kleiner, ein bisschen weniger – aber genauso pittoresk. Die Stadt ist so überschaubar, dass man überallhin in Kürze zu Fuss gelangt. Und man wird (mit oder ohne Kids) mit fröhlichen Scherzen statt abgelöschter Schnute begrüsst.
Ausserdem gibt es zahlreiche hübsche «Hofjes» (Innenhöfe) und Plätze zu erkunden, leere Gässchen zu entdecken und leckere Pannenkoeken zu degustieren (etwa im «House of Pancakes»). Und man kriegt im hübschen Boutique-Hotel tatsächlich noch ein Zimmer (Empfehlung: Das Hotel Lion D’Or, gleich beim Bahnhof, mit hübscher Lobby, Samtsofas im Frühstücksraum und grossartigen Büchern zum Stöbern).
Grosses Plus: Von Haarlem aus liegt auch ein Tagesausflug ans Meer drin. Zum Küstenort Bloemendaal aan Zee gelangt man mit dem Velo in einer halben Stunde und kann da wunderbar über Sanddünen tollen und abends zurück in die Stadt radeln. Oder gleich noch ein paar Nächte im Airstream-Wohnwagen im «Camping de Lakens» anhängen. – Tipp von Redaktorin Sandra Brun
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