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Wie ist es eigentlich, wenn Papi einen Rock trägt?

Body & Soul

Wie ist es eigentlich, wenn Papi einen Rock trägt?

  • Text: Nils Pickert; Foto: Emma

Rock'n'Roll mal anders! Der Autor Nils Pickert (33) aus Villingen-Schwenningen erzählt was passiert ist, nachdem er mit seinem Sohn zusammen einen Rock angezogen hat.

Letztes Jahr hatte ich meine 15 Minuten Ruhm, mit allem, was dazugehört: Fans, Hassvideos, internationale Presse und dergleichen. Dabei wollte ich sie gar nicht haben. Alles, was ich wollte, war, meinem fünfjährigen Sohn nicht sagen zu müssen, er dürfe keine Röcke tragen. Warum auch?

Über das Warum bin ich, nachdem ich mir einen Rock anzogen hatte, um ihn in seiner Entscheidung zu unterstützen, gründlich belehrt worden – und zwar von Leuten rund um den Globus, von China bis Brasilien.

So etwas macht man(n) nicht. Das ist falsch, weibisch, gottlos, ekelhaft, schwul. Wie ich das nur unterstützen könne? Ja, wie eigentlich?

Nun, mein Sohn zieht sich manchmal eben gern an wie seine Schwester. In einer Grossstadt kein Thema. Da laufen noch ganz andere Typen herum. Nach dem Umzug in eine katholische Kleinstadt eher problematisch. Ich habe im Umzugsstress versäumt, die neuen Erzieherinnen meines Sohns auf seine Kleidervorliebe hinzuweisen. Also ist er an einem warmen Tag mit einem Rock in den Kindergarten gegangen – und wurde ausgelacht. «Hihi, du Mädchen.» Das Übliche eben. Er kam ziemlich traurig nachhause. Hat sich wochenlang nicht getraut, Röcke zu tragen, obwohl er es gern wollte. Schliesslich bat er seinen Vater um Unterstützung. Da gibt es nur drei Möglichkeiten zu reagieren: Lass den Quatsch! Mach deinen Kram allein! Oder aber: Komm, Junge, ich helf dir!

Ich habe mich für die dritte Möglichkeit entschieden – und mir einen Rock angezogen. Nichts sprach dagegen. Als freiberuflicher Autor muss ich mich vor keinem Vorgesetzten für meine Kleiderwahl verantworten. Meine Frau ist in der Gleichstellungsarbeit tätig und fand die Idee toll. Und ob mich jemand für schwul hält, interessiert mich nicht.

Der Kleine war jedenfalls begeistert. Die Leute auf der Strasse haben nun mich angeglotzt, während er unter ihren Blicken durchhuschte. Und im Kindergarten haben die Kinder aufgehört zu lachen. Sie haben mich statt ihn gefragt, warum wir Röcke tragen. «Heute ist Rocktag», haben wir geantwortet, «wusstest du das nicht?»

Trotzdem hat mich das Ganze enorm beschäftigt. Also habe ich einen kurzen Artikel geschrieben und «Emma» angeboten. Passt ganz gut, dachte ich. Bitte noch ein Foto dazu, kam als Antwort. Na gut, von mir aus. Zwei Wochen später sass ich im Italienurlaub mit offenem Mund vor dem Laptop. Inzwischen war das halbe Internet mit dem Bild zugepflastert. Eine Bloggerin hatte meinen Artikel für Freunde ins Englische übersetzt. Zeitungen taten so, als hätten sie ausführlich mit mir darüber gesprochen, eine Website schrieb von der anderen ab. Und bei «Emma» türmten sich die Anfragen der Journalisten. Die einen sahen in mir den Kopf einer neuen Bewegung, die anderen wollten mich als mediale Sau durchs Boulevarddorf treiben. Ich wollte nur darüber schreiben. Selber. Aber nun gab ich hauptsächlich Interviews. Über Skype, mit Dolmetschern oder mitten in der Nacht für US-Fernsehsendungen. Die Bildflut schwappte weiter und weiter. Manche erklärten mich zum Vater des Jahres. Andere hielten mich für schwul, gottlos oder geltungssüchtig. Ein Mann auf Youtube nannte mich einen Idioten. Ein Berliner Travestiekünstler wünschte sich, einen Vater wie mich gehabt zu haben.

Die Heftigkeit der Reaktionen hat mich überrascht, die Beleidigungen ebenso wie der Zuspruch. Für mich ist es nach wie vor nur ein Kleidungsstück, weiter nichts. Inzwischen hat sich der Staub gelegt, und es lässt sich erkennen, was vom Rocktragen übrig blieb: Ein glücklicher kleiner Junge, der sich traut, so zu sein, wie er ist, und auszuprobieren, was er sein kann. Ein Ruf, mit dem ich leben kann. Ein paar Leute, die sich wirklich für das Thema interessieren. Und ich, der ein bisschen schlauer geworden ist. Früher habe ich vom Internet nicht viel verstanden. Heute weiss ich, dass dieser Internet, von dem immer alle reden, ein ziemlich unberechenbarer Typ ist, der einfach nicht seinen Mund halten kann. Und dass Leute Kleider machen und nicht umgekehrt. Darauf würde ich inzwischen sogar meinen berühmten Rock verwetten.

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