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Krippen, Stimmrecht, freie Liebe: Ein Dokfilm über die Schweizer Feministin Iris von Roten

Krippen, Stimmrecht, freie Liebe: Ein Dokfilm über die Schweizer Feministin Iris von Roten

  • Text: Barbara Loop; Fotos: Yves Bachmann, Hans Baumgartner, Xenix  

Iris von Roten war die unbequemste Feministin der Schweiz, ihr Mann kämpfte an ihrer Seite. Der Dokfilm «Verliebte Feinde» zeigt das Leben und Werk des glamourösen Paars.

Iris und Peter von Roten könnten für die Schweiz sein, was Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre für Frankreich sind: Vorbilder, intellektuelle Lichtgestalten. Zwar gilt Iris von Roten seit ihrem Tod 1990 als wichtigste Schweizer Feministin. Trotzdem ist sie kaum ein Thema. Nicht im Geschichtsunterricht, nicht in den Gender-Seminaren an den Unis, nicht im Schweizer Fernsehen. Warum?

Iris von Roten war intelligent, mutig, sie hatte Witz, sie kämpfte für die Rechte der Frau. Und sie war schön, genau wie ihr Ehemann. Ihre Beziehung glich einer Amour fou. Die beiden liebten sich, sie hassten sich, sie trennten sich, und sie heirateten, obwohl sie auch andere Partner begehrten. Werner Schweizer hat das Leben des Paars verfilmt: «Verliebte Feinde» dokumentiert ein Stück Schweizer Geschichte, indem er sich an die Dramaturgie einer Liebe hält.

Gleichstellung, Selbstbestimmung und freie Liebe

Es geht um die Moralvorstellungen und Geschlechterrollen der Fünfzigerjahre. Es ist September 1958, als Iris von Roten mit dem Buch «Frauen im Laufgitter» die Schweiz in Aufruhr versetzt. Sie fordert die Gleichstellung von Frau und Mann im Beruf, das Frauenstimmrecht, Kinderkrippen. Und sie wagt es, der weiblichen Sexualität ein ganzes Kapitel zu widmen; ein Manifest für sexuelle Selbstbestimmung und freie Liebe. Das alles geschrieben von einer Frau, die sich als Journalistin einen Namen gemacht hat, elegante Kleidung trägt und viele Zigaretten raucht. Ein Skandal.

Die Zeitungen beschimpfen sie als «streitsüchtige Hysterikerin» und «Schweizer Juxfigur». An der Fasnacht ist die gebürtige Baslerin das beliebteste Sujet, die «National-Zeitung» zeigt sie als Domina, die peitschenknallend die Männer zur Hausarbeit zwingt. Jemand schreibt «Hure» an die Wand ihres Hauses in der Basler Altstadt.

Als Tochter einer Feministin

Über ein halbes Jahrhundert später, es ist Dezember 2012. Die Tochter von Iris und Peter von Roten kommt mit grossen Schritten zum Interview. Hortensia von Roten ist sechzig Jahre alt, hochgewachsen und schlank. Sie trägt ein Foulard, eine Jacke aus Harris-Tweed und einen Ring am kleinen Finger. Sie erzählt gern vom charmanten Vater und von der scharfzüngigen Mutter. «Wenn meine Mutter zum Essen eingeladen war, haben die Gastgeber die anderen Gäste sorgfältig ausgewählt. Ihre Schlagfertigkeit war gefährlich, besonders für Männer.»

Hortensia von Roten spricht laut und eindringlich, ihre Worte hallen nach. «Meine Mutter war klar denkend, fair, wach, intelligent.» Sie macht eine Pause. «Und absolut kompromisslos.» Hortensia von Roten war sechs Jahre alt, als «Frauen im Laufgitter» erschien. Besser als an die heftigen Reaktionen kann sie sich an die Entstehung des Buchs erinnern. An die Stunden, in denen die Mutter im Arbeitszimmer nicht gestört werden durfte. An die Diskussionen beim Abendessen – sie kannte den Inhalt des Buchs, bevor sie es lesen konnte – und an die Empörung der Mutter. «Sie wollte, dass den Frauen dieselben Möglichkeiten offenstanden wie den Männern: Abenteuer, Beruf, Freiheit.»

Ein Nein zum Frauenstimmrecht

Auch wenn Iris von Roten als Tochter liberaler bürgerlicher Eltern privilegiert war, erlebte sie Ungerechtigkeiten am eigenen Leib: wie im Winter 1955, als sie von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde, bloss weil sie nachts, elegant gekleidet, allein durch Zürich lief. In den Fünfzigerjahren gab es ein bisschen Rock’n’Roll, aber noch keine Beatles, es gab den Staubsauger, den Kühlschrank, Sekretärinnen, Stewardessen, strenge Mütter und sittsame Töchter. Wenige Monate nachdem «Frauen im Laufgitter» erscheint, stimmt die Schweiz zum ersten Mal über das Frauenstimmrecht ab. Die Männer entscheiden sich dagegen. Schuld sei auch Iris von Roten, heisst es. Ihre Polemik, ihre undiplomatische Art, ihre Hartnäckigkeit. Sie hat nicht nur die Männer gegen sich, sondern auch die Frauen.

Iris von Rotens einziger Verbündeter ist ihr Ehemann. Peter von Roten hatte die schöne Iris an der Uni Bern kennen gelernt, wo sie beide Jura studierten. Er kam aus einer
standesbewussten katholischen Familie aus dem Wallis, wurde Anwalt und CVP-Grossrat. Als Nationalrat setzte er sich für das Frauenstimmrecht ein – und wurde abgewählt. Aber er wurde nicht so stark angefeindet wie seine Frau. «Im Gegensatz zu Iris war er beliebt. Aber er wurde auch weniger ernst genommen», sagt die Tochter. Vor der Hochzeit setzte Iris von Roten einen Ehevertrag auf: Niemand werde sie je daran hindern zu arbeiten, sie werde nie kochen, nie flicken, nie putzen. Er verlangte im Gegenzug, sie müsse zum Katholizismus konvertieren. Es gab Streit. Drei Monate schrieben und sahen sie sich nicht. Zwei Jahre später gab Peter von Roten nach und heiratete die Protestantin.

Affären und kleine Ehebrüchlein

Als Iris von Roten für ein Jahr nach Amerika zog, schickte sie ihrem Mann nicht nur «Frauen im Laufgitter» kapitelweise zum Gegenlesen, sondern auch Briefe, die von ihren Affären berichteten. Er erzählte ihr ebenfalls von seinen «kleinen Ehebrüchlein». Kompromisslos war Iris von Roten auch in der Kindererziehung. Kurz nach der Geburt gab sie ihre Tochter Hortensia in eine Krippe und reiste nach Italien, um sich von den Strapazen zu erholen. In den Fünfzigerjahren! «Sie hat Kinder wie Erwachsene behandelt», sagt Hortensia von Roten.

Die Tochter wird einen Teil ihrer Kindheit in Pflegefamilien und Internaten verbringen. «Darauf stürzt man sich in der Schweiz noch heute, gierig nach dem Bild der Rabenmutter. Doch meine Mutter hat die Orte sehr sorgfältig ausgewählt. Ich lebte in befreundeten Familien und in hervorragenden englischen Internaten», sagt sie. Hortensia von Roten hatte nie das Bedürfnis, gegen die feministischen Ansichten ihrer Mutter zu rebellieren, «und das hätte ich mich auch nie getraut». Sie wurde Bauingenieurin, studierte Geschichte und leitet heute die Münzsammlung des Schweizerischen Nationalmuseums. Bau und Münzen; Männerdomänen.

Die Einzelkämpferin

«Es gibt im deutschsprachigen Raum kein feministisches Buch, das mit ‹Frauen im Laufgitter› zu vergleichen wäre», sagt Hortensia von Roten. Warum erhält Iris von Roten noch immer nicht die Anerkennung, die sie verdient? «Meine Mutter war zu unbequem und zu direkt. Ausserdem war sie keine Linke.» Die traditionell linken Feministinnen hatten Mühe mit der schicken Bürgerlichen, die sich keiner Ordnung und keinem Programm unterwerfen wollte. Iris von Roten hatte keine Strategie, sie war persönlich empört. Das machte sie zur angreifbaren Einzelkämpferin. Aber auch zu einem eigenständigen, freien Geist.

Iris von Roten war 73 Jahre alt, als sie genug vom Leben hatte. Sie verlor das Augenlicht, litt an Arthrose, Schmerzen und Schlaflosigkeit. Am Morgen des 11. September 1990 zog sie sich ein grünes Seidenkleid an, stieg hinauf ins oberste Stockwerk ihres Hauses und legte sich eine Schlinge um den Hals. Ihr Mann fand sie, umgeben von blühendem Hibiskus und Jasmin. Sie habe ausgesehen wie der Engel der Verkündigung, schrieb Peter von Roten einst. «Wie ein grosses Ausrufezeichen nach einem tapferen Satz.»

— Ab 21. 2. im Kino: Dokfilm «Verliebte Feinde» von Werner Schweizer, mit Mona Petri und Fabian Krüger. Nach dem gleichnamigen Buch von Wilfried Meichtry (Verlag Nagel & Kimche)

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1.

Iris und Peter von Roten forderten und lebten Gleichberechtigung – und machten sich damit zum bestgehassten Paar des Landes

2.

«Sie hat Kinder wie Erwachsene behandelt»: Hortensia von Roten, die Tochter der Feministin

3.

Mona Petri und Fabian Krüger als Iris und Peter von Roten in «Verliebte Feinde»

4.

Filmszene aus «Verliebte Feinde»

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