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Melanie Winiger: Interview mit der Ex-Miss und Schauspielerin

Leben

Melanie Winiger: Interview mit der Ex-Miss und Schauspielerin

  • Text: Stefanie Rigutto; Fotos: Jozo Palkovits

«Vorsicht, ich bin nah am Wasser gebaut»: Zur Wahl der neuen Miss Schweiz ein ehrliches Gespräch mit der Frau, die selbst 18 Jahre nach ihrer Krönung das Image der Ex-Miss einfach nicht loswerden kann. Und auch nicht will.

«Es isch mer scho chli verleidet, das dauernde Lächle.» Melanie Winiger spricht leise. Fast schon verschüchtert blickt sie in die Kamera. Anständig beantwortet sie die Fragen des Moderators, sogar jene, ob sie denn ihrem Freund im Amtsjahr treu gewesen sei. Melanie Winiger ist 18 Jahre alt. Es ist eines ihrer letzten Interviews als Miss Schweiz – in ein paar Tagen wird sie die Krone abgeben. Sie erzählt, sie habe jeweils grosse Angst vor den Autogrammstunden gehabt. In einem Einspieler sieht man, wie sie das Auto des Sponsors besteigt und vergnügt zwitschert: «Das behandle ich jetzt wie mein Haustierchen!»

Was sie mit all dem Geld mache, das sie verdient habe, will der Moderator wissen. «Ich habs aufs Sparkonto getan», antwortet Melanie Winiger brav. Heute ist Melanie Winiger fast doppelt so alt. Heute würde sie sagen: «Das ewige Grinse isch mer zimli uf d Närve gange!» Und auf die Frage nach der Treue würde sie antworten: «Das geht Sie gar nichts an.» Mit dem Mädchen von damals hat sie nur noch wenig gemein. Sie sagt: «Wenn ich die alten Videos anschaue, wird mir klar, wie fest ich mich verändert habe.» Wenn es nach ihr ginge, würde sie auch praktisch keine Interviews mehr geben. Es war ihre Managerin («meine beste Freundin», präzisiert Melanie Winiger), die sie zum Gespräch mit annabelle bewegt und auch gleich das Büro zur Verfügung gestellt hat, eine umgebaute Fensterfabrik in einem Wohnquartier in Zürich.

Melanie Winiger trägt graue, zerrissene Jeans, schwarze, flache Schuhe und einen schwarzen Pullover. Ungeschminkt ist sie auch. Sie sagt: «Ich mags einfach. Ich bin ein Simpel.» Ein Arbeitskollege ihrer Managerin bereitet uns einen Latte macchiato zu. «Espresso kann ich nicht trinken, der ist mir zu stark – da bin ich eine Riesenmemme», sagt Melanie Winiger und führt mich in ein Sitzungszimmer unterm Dach. Sie tippt auf ihrem Smartphone herum: «Ich bin gleich so weit. Ich muss nur kurz schauen, was mein Sohn macht.»

ANNABELLE: Melanie Winiger, es ist 18 Jahre her, dass Sie Miss Schweiz wurden. Was ist geblieben?
MELANIE WINIGER: Es war wie eine Geburt: Es tat sauweh, aber ich kann mich nur an die positiven Momente erinnern. Es war eines der schönsten Jahre meines Lebens. Ich verdanke dem Miss-Schweiz-Titel extrem viel, auch wenn ich ihn manchmal verflucht habe.

Sie waren so jung!
Vielleicht zu jung. Ein Stück weit sind mir meine Teeniejahre abhandengekommen. Plötzlich stand ich in der Öffentlichkeit und wurde von allen beurteilt – darunter habe ich gelitten. Tatsache ist, dass ich mein Amtsjahr bis heute nicht vollständig verdaut habe.

Lassen wir die vergangenen Jahre Revue passieren.
Gern, aber seien Sie vorgewarnt: Ich bin ein totaler Emo! Ich bin sehr nahe am Wasser gebaut. Wenn man in der Vergangenheit gräbt, kommen all die alten Dinge wieder hoch.

Und ich dachte immer, Sie seien so tough.
(lacht) Manchmal bin ich das tatsächlich. Aber ich habe auch eine sehr sensible Seite. Ich kann sogar ein richtiges Finöggeli sein! Ich habs nur immer versteckt.

So verletzlich kennt man Sie ja gar nicht.
Ich bin gut darin, meine schwachen Seiten zu überspielen. Etwas vom Unangenehmsten finde ich, allein ein Restaurant zu betreten, während einen alle anstarren. Da bibbere ich.

Die kleine Melanie war ein fröhliches Kind. In der Schule im Tessin war sie der Pausenclown. Doch da war die Hautfarbe. Die Mutter ist Halbinderin, und als Mädchen hatte Melanie Winiger noch einen dunkleren Teint als heute. «Geh doch zurück nach Marokko», rief man ihr in der Schule zu. Sie wurde nicht nur gehänselt, sie wurde abgeschlagen. «Mein Vater sagte: ‹Ich komme nicht in die Schule und verteidige dich. Das musst du selber machen. Aber ich zeige dir, wies geht.›» Aus dem Gefühl, nicht akzeptiert zu sein, wurde Wut. Sie sagt: «Ich liess mir nichts mehr bieten. Statt nachhause zu gehen und zu weinen, zog ich einem Jungen auch mal einen Ordner über den Kopf.» Sie legte sich ebenso mit den Jungs an, die auf Schwächere losgingen. «Supermelanie» nannte man sie fortan. Sie habe eine «sehr liebe, aber sehr strenge» Mutter gehabt. Sie durfte sich nicht schminken, nicht in den Ausgang gehen und keine Kleider mit Ausschnitt anziehen. Dann wurde sie Miss Schweiz – und genoss plötzlich alle Freiheiten, die ihr vorher verwehrt waren. «Ich musste mich schminken, durfte Highheels tragen und anziehen, was ich wollte. Das war für mich das Grösste.» Allerdings hatte ihr niemand gesagt, dass sie oft allein unterwegs sein würde. Dass sie sich einsam und sehr müde fühlen würde. Und dass es rein gar niemanden interessiert, wie es ihr geht. «‹Reiss dich zusammen›, hiess es jeweils, wenn ich ein Tief hatte. Hallooo? Ich war 17!» Trotzdem sagt sie: «Ich bereue nichts. Es war die richtige Lehre zur richtigen Zeit.» Die schwierigsten Momente sollten erst noch kommen. Nach dem Amtsjahr, zurück am Gymnasium im Tessin («Ich hatte meinem Vater versprochen, dass ich die Matur machen würde»), verkratzte man ihr Auto, schrieb primitive Sachen drauf. Ihre drei engsten Freundinnen wandten sich von ihr ab. «Das brach mir das Herz.» Die verpasste Pubertät wollte nachgeholt werden: Kaum war die Schule am Freitag aus, fuhr sie nach Zürich in den Ausgang. «Ich war ein Räf», sagte sie über ihre Rebellenphase in einem Interview mit Radio SRF 3. «Ich habe meinen Eltern viele schlaflose Nächte beschert, aber ich habe mich später auch dafür entschuldigt.» Sie rasselte knapp durch die Matur. «Ich hätte die Ehrenrunde am Gymi machen sollen», sagt sie heute, «aber mein Ego war zu gross.»

Welches ist der grösste Preis, den man als Ex-Miss zahlt?
Die Vorurteile. Aber auch die Urteile. Jeder masst sich an, über eine öffentliche Person zu richten. Ich staune immer wieder, wie die Leute über Prominente, die sie nur aus den Medien kennen, herziehen. Dabei weiss man ja, dass in den Boulevardmedien oft nicht nur die Wahrheit steht

Ihr Verhältnis zu den Medien?
Gespalten. Es gibt tolle Journalisten, aber auch solche, denen ich keine Interviews mehr gebe.

Wie gehen Sie mit der öffentlichen Meinung um?
Es ist schwierig, sich emotional davon zu distanzieren. Es lässt mich nicht kalt – wie alle Menschen will auch ich akzeptiert werden. Der grösste Fehler ist, im Internet die Kommentare zu lesen – das mache ich heute nicht mehr. Ich finde ja sowieso, dass jeder, der einen Kommentar schreibt, mit Namen und Adresse hinstehen soll. Es ist so einfach, als anonymer User eine grosse Klappe zu haben.

Was tat am meisten weh?
Wenn Menschen – oder die Medien – über meine Mutterschaft urteilten. Wenn mich Leute, die mich noch nie mit meinem Kind zusammen gesehen hatten, als Rabenmutter bezeichneten. Ich bin seit fast zwölf Jahren ein alleinerziehendes Mami, mein Sohn ist für mich das Grösste. (Jetzt füllen sich die Augen mit Tränen.)

Mit 23 Jahren wurde Melanie Winiger Mutter, nur ein Jahr später landete sie mit «Achtung, fertig, Charlie!» den grössten Kinoerfolg ihrer Karriere. Dabei wollte sie gar nie Schauspielerin werden. «Sie haben mich dreimal gebeten, ans Casting zu kommen – da bin ich dann halt gegangen. Zum Glück!» Auf dem Set war sie so begeistert vom Schauspielern, dass sie nach Los Angeles zog, um eine Ausbildung in Method Acting zu absolvieren. Auch für ihren zweiten Film, «Sonjas Rückkehr», erhielt sie gute Kritiken, ja sogar eine Auszeichnung. Danach folgten Flops: «Love Made Easy» zum Beispiel zählte nur 7000 Zuschauer. Melanie Winiger kümmerts wenig. Einfach nur Schauspielerin zu sein, interessiert sie sowieso nicht. «Ich will Neues ausprobieren, weiterkommen, mich entwickeln.» Sie sagt, die Schauspielerei könne manchmal wie eine Therapie wirken. «Man holt Dinge aus dem Unterbewusstsein hervor, die man lieber nicht anschauen will.» Sie hat wild die Genres gewechselt – Drama, Komödie, Horrorfilm – und auch auf Italienisch gedreht. Momentan ist es stiller geworden. Sie sagt: «Es gab zwar viele Filmangebote – teilweise kamen sie aber nicht zustande, teilweise gab es Terminkollisionen, teilweise reizte mich das Drehbuch nicht.» Melanie Winiger ist gut gebucht: Sie lebt von Werbeaufträgen, ist Botschafterin von Volvo und Geberit, moderiert Events wie die Swiss Music Awards oder die Auslosung der Champions-League-Gruppen in Monaco. Auch nach all den Jahren ist sie vor ihren Moderationen noch nervös. Das Mantra, mit dem sie sich beruhigt: «You’re not saving lives – it’s just entertainment.» Seit kurzem macht sie auch Mode: Sie hat für Coop Naturaline eine eigene Kollektion gestaltet. «Ich mag diese berufliche Vielfalt. Sie ist sehr bereichernd», sagt sie. Worauf ist sie am meisten stolz? «Abgesehen von meinem Sohn?» Sie erzählt von der Schule in einem Dorf in Indien, deren Finanzierung sie mit einem Spendenanlass für mehrere Jahre gesichert hat. «Natürlich ist es ein Tropfen auf den heissen Stein, aber es ist immerhin ein Tropfen.»

Wie schwer ist es, sich vom Image der Ex-Miss zu lösen?
Es ist nicht schwer – es ist unmöglich. Ich wollte mich nie davon losmachen, ich stehe voll zu meinem Missentitel, er ist Teil meines Lebens. Aber natürlichmöchte ich mich entfalten können, ohne immer darauf reduziert zu werden. Ich bin Ex-Miss, wie ich auch Ex-Gymnasiastin bin.

Als Ex-Miss ist man schnell in der Schublade der Tussi.
Das war eine meiner Ängste: als Tussi abgestempelt zu werden. Ich habe lange mit burschikosem Gehabe dagegen angekämpft, statt mir zu überlegen, wer ich eigentlich bin. Ich meine: Vielleicht bin ich ja wirklich eine Tussi! (lacht)

Und, sind Sie es?
Ist man eine Tussi, wenn man ab und zu ein hübsches Röckchen trägt? Ja, dann bin ich eine! Ich hatte immer das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen für das, was ich bin. Mittlerweile konnte ich mich davon lösen. Ich war es leid zu kämpfen. Nun kann ich auch meine feminine Seite ausleben – das musste ich zuerst lernen.

«Wer sind Sie?», fragte sie mal ein Journalist. «Das versuche ich seit 35 Jahren herauszufinden», sagte Melanie Winiger lachend ins Mikrofon. So ist sie: schlagfertig, direkt. Sie denkt in Schwarzweiss, ist mutig und legt sich auch mal mit dem Bundesrat an. In einer Kolumne im «Blick» schrieb sie 2007, sie schäme sich für ihre Regierung, weil diese die Entwicklungshilfegelder nicht auf 0.7 Prozent des Nationaleinkommens erhöhen wollte. «Der Bundesrat ist stur und verstockt», befand sie. Mit Melanie Winiger ist es so: Entweder man liebt sie, oder man kann sie nicht ausstehen. Früher sah man Melanie Winiger schwanger in der «Schweizer Illustrierten». Sie zeigte ihren Babybauch, ihren Freund, ihr Neugeborenes. «Wenn man so jung ist, macht man viele Dinge, von denen einem die Leute sagen, dass man sie machen muss.» Heute schützt sie ihr Privatleben: Von ihrem Sohn gibt es kein einziges Bild, ebenso wenig einesvon ihr und Tote-Hosen-Sänger Campino. Sie sagt: «Das Privatleben leidet, wenn man es zu fest in den Medien auswalzt.» Wenn sie über ihre Beziehung reden wolle, befand sie kürzlich in einem Interview, gehe sie nicht zu einem Journalisten, sondern zu ihrem Therapeuten. Das war nicht einmal gelogen: «Ich gehe ab und zu in die Therapie», sagt sie. «Es hilft mir enorm.» Wenn es um das Thema Männer geht, ist Melanie Winiger leicht zu provozieren. Nach der Trennung von Rapper Stress wollte eine TV-Journalistin an einem Event wissen, ob es nicht «der Horror» sei, allein über den roten Teppich zu gehen. Winiger: «Jetzt müender höre!» Und erst kürzlich umarmte sie an einer Party ihren Ex-Mann Stress und dessen neue Partnerin, das Model Ronja Furrer, und rief in die Kamera: «Wir sind immer noch Freunde, jooooh! Fuck you all!» Rückblickend sagt sie: «Da ist mir eine Sicherung durchgebrannt. Den ganzen Abend lang fragten mich die Leute, ob ich kein Problem damit habe, meinen Ex mit seiner neuen Freundin zu sehen. Zehn Mal antwortete ich anständig, aber beim elften Mal bin ich explodiert.»

Reden wir über Ihre Männer.
O Gott.

Gregory Knie, das Model Andreas Roth, Stress und nun Campino – zuerst warens die Schönlinge, jetzt sinds mehr die raubeinigen Typen. Was gefällt Ihnen an Männern?
Der Schalk in den Augen, das Lausbubenhafte, das Kind im Mann. Aber ich brauche einen starken Gegenpart, einen Mann mit viel Selbstbewusstsein. Und mittlerweile möchte ich auch einen beschützenden Arm um die Schulter – das konnte ich mir lange nicht eingestehen.

Campino deckt dies also alles ab?
No comment.

Statt über ihre Männer spricht Melanie Winiger lieber über die bevorstehende Miss-Schweiz-Wahl. 18 Jahre nach ihrem Titel ist sie wieder dort, wo alles angefangen hat. Sie fungierte als Coach des diesjährigen Wettbewerbs und leitete zusammen mit Christa Rigozzi die einwöchige Missen-Academy in Luzern, eine Art Trainingscamp fürdie Kandidatinnen, das auf Sat.1 Schweiz zu sehen war. «Ich hätte nicht gedacht, dass da so viele Emotionen hochkommen», sagt sie. Zu sehen, was die jungen Frauen durchmachen, habe sie selber wieder total mitgenommen. Ihr Ratschlag für die neue Miss Schweiz, die am 11. Oktober gewählt wird? «Sag nicht etwas, nur weil man es von dir hören will. Sei du selber.»

Melanie Winiger, wir sind am Ende unseres Gesprächs. Sie hatten nur einmal Tränen in den Augen.
Das ist gut. Ehrlich gesagt, ich habe Sie mir anders vorgestellt. Frecher? Diese Eigenschaft unterstellen mir die Medien gern. Aber ich bin nicht mehr 20, ich bin 35. Ich bin vielleicht kein Huscheli, aber frech ist für mich etwas anderes.

Sie sind ruhiger geworden.
Thank God! Der Drang, etwas beweisen zu müssen, ist weg. Ich bin jetzt an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich vorher noch nie war: at peace.

Melanie Winiger über …

… Social Media: «Instagram mag ich, da sehe ich die Fotos meiner Freunde und freue mich darüber. Auf Facebook bin ich nur alle paar Monate – es zieht mich nicht rein.»

… Hamburger: «Ich habe Junkfood-Gene. Das Erste, was ich nach der Landung in L. A. mache: Ich gehe zu In-n-Out-Burger. Ich finde übrigens auch Dosenravioli lecker.»

… Hobbys: «Ich surfe fürs Leben gern. Das ist für mich wie eine Meditation. Das Meer putzt mich durch, macht mich friedlich.»

 

 

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«Ich kann ein richtiges Finöggeli sein»