Sila Sönmez schreibt über das Ghetto, sexuelle Fantasien einer jugendlichen Türkin und über Klischees und Vorurteile. Ist das ein adäquater Beitrag zur Integrationsdebatte?
Eine 25-jährige Deutsch-Türkin schreibt ein «Ghetto-Sex-Tagebuch» und behauptet, das sei ein Beitrag zur Integrationsdebatte. Kann das gut gehen?
Was soll man von einer Autorin halten, die beschreibt, wie ein 17-jähriges türkisches Mädchen sich mit alten, hässlichen Männern zu anonymem, hartem Sex verabredet – nicht weil sie dazu gezwungen wird oder weil sie diese Männer abzocken will, sondern einfach weil sie das total geil findet? «Widerlich» denkt man unwillkürlich und will den Roman mit spitzen Fingern in den Abfalleimer befördern.
Doch in diesem Buch steckt mehr: Es handelt sich um einen Beitrag zur aktuellen Integrationsdebatte, so sieht das zumindest die Autorin. Ein Integrations-Porno? Interessant.
Die Autorin heisst Sila Sönmez und ist eine bildschöne, zierliche 25-jährige Deutsch-Türkin mit Bambiaugen. Die Studentin der Kulturwissenschaften erscheint in Turnschuhen und einem Heavymetal-T-Shirt zum Interview. Sie sagt: «Es nervt mich unendlich, dass man in Deutschland heute denkt, Türkinnen seien ungebildete Gebärmaschinen, die unters Kopftuch gezwungen und zwangsverheiratet werden. Das ist Blödsinn.»
Ihre Romanfigur Ayla widerlegt das Klischee. Oder besser: Die Klischees – sie entspricht nämlich genauso wenig den Erwartungen der «türkischen Community». Ayla lebt mit ihren Eltern in einer Plattenbausiedlung und hat es trotzdem bis ins Gymnasium geschafft, so wie die Autorin einst. Ayla ist genervt, angeödet, rotzfrech. Sie kann mit Brad-Pitt-Schönlingen und Kerzenscheinerotik nichts anfangen. Stattdessen datet sie Unbekannte im Internet. Nackt putzen bei einem bierbäuchigen Opa? Gern. Anschliessend Gruppensex mit Opas Kollegen? Unbedingt. «Ich verstehe nicht, warum das die Leute so schockiert», sagt Sila Sönmez. «Ayla lebt ihre sexuellen Fantasien aus. Ich finde es viel schockierender, wenn sich eine Frau die Brüste machen lässt, um einer gesellschaftlichen Norm zu entsprechen.»
So weit, so gut. Aber eine Vorzeige-Integrations-Türkin ist das Mädchen trotzdem nicht. Sie kifft, schmuggelt Drogen, klaut und bespuckt eine Polizistin. «Ayla macht Fehler», verteidigt die Autorin ihre Romanfigur, «weil sie ein Teenager ist, nicht weil sie Türkin ist.» Für Sila Sönmez sind Integrationsprobleme in erster Linie soziale Probleme und nicht Probleme einzelner Volksgruppen, wie das SPD-Spitzenpolitiker Thilo Sarrazin in seinem provokativen Buch «Deutschland schafft sich ab» darstellt.
Die Studentin ist sich bewusst, dass sie mitten in einer schwierigen Debatte gelandet ist. Ihr Ringen um eine Haltung, ihr Bemühen, die richtigen Worte zu finden, haben etwas Eifriges. Sie holt aus, verliert den Faden, erklärt. Doch wichtig ist nur: Sie begreift das als Herausforderung. In Zukunft möchte sie das Studium noch ernster nehmen.
Sila Sönmez wird ihren Weg machen. Auch wenn es ihr Romandebüt nicht bis ins literarische Feuilleton schaffen wird – immerhin ist es Thema im Boulevard, in Talkshows und im «Hürriyet». Damit hat sie es weiter gebracht als ihr türkischer Vater, der ebenfalls Bücher schrieb. Seine deutsch-türkischen Jugendbücher sollten zeigen, dass ein friedliches Miteinander der Kulturen möglich ist. Deutschland interessiert sich bis heute nicht dafür.
Für das Buch seiner Tochter dagegen sehr. Vor allem wegen der Sexszenen, die so explizit, so hart und schonungslos sind, dass Sila Sönmez ihrem eigenen Vater verbot, das Buch zu lesen. Mittlerweile weiss der Vater aus der Zeitung, worum es geht. Und er ist mächtig stolz auf seine Tochter, die es in der neuen Heimat so weit gebracht hat. So funktioniert Integration.
Sila Sönmez: Das Ghetto-Sex-Tagebuch. Verlag Schwarzkopf + Schwarzkopf, ca. 16 Franken